Tolle Tage in Schweden

Schlafen statt sich stressen: Mit dem Nachtzug rollen Sie entspannt nach Stockholm

5.10.2024, 10:00 Uhr
Blick vom Katarinahissen auf Södermalm: Der Aufzug hat Geschichte, denn bereits 1883 wurde er als Verbindung zweier Stadtteile erbaut. Nach vorübergehenden Stilllegungen bringt er seit gut einem Jahr die Menschen wieder 38 Meter höher - mit einem fantastischen Ausblick.

© Martina Hildebrand Blick vom Katarinahissen auf Södermalm: Der Aufzug hat Geschichte, denn bereits 1883 wurde er als Verbindung zweier Stadtteile erbaut. Nach vorübergehenden Stilllegungen bringt er seit gut einem Jahr die Menschen wieder 38 Meter höher - mit einem fantastischen Ausblick.

Echt jetzt?! Der Zug, der langsam auf Gleis 13 einrollt, führt keinen Restaurantwagen mit sich. Und die Zeit ist zu knapp, um noch etwas fürs Abendessen zu besorgen. Wie soll das gehen - im Rucksack liegen nur noch Kekse, aber vor uns mehr als 19 Stunden Fahrt! Das geht, mit Hilfe des magischen Begriffs "lagom" – der stammt aus dem Schwedischen und lässt sich übersetzen mit: Gelassenheit, Ausgeglichenheit, Entschleunigung. Und das entspricht so ziemlich genau dem, wie wir reisen wollen.

Natürlich hätten wir auch ab München Flugtickets nach Stockholm buchen können, dann wären wir gut zwei Stunden später im Norden gelandet. So aber rollen wir im Snälltåget-Schlafwagen von Berlin erst nach Malmö und dann weiter nach Stockholm.

Die Reisenden im Abteil nebenan bieten und Gurken an, weiter vorne gibt es noch Instant-Nudeln. Keiner kuschelt sich hungrig auf die Liege. Und dann stellt sich wieder dieses Nachtzug-Gefühl ein, untermalt vom Ruckeln und Schaukeln, vom Bremsen und Beschleunigen. Dass sich Tiefschlaf nicht wirklich einstellen möchte, verzeiht man , ist es doch wunderbar, liegend durch die Vorhänge zu linsen und auf den Bahnhöfen Ansagen in fremder Sprache zu hören, bis man dann doch wieder einduselt.

Am frühen Morgen schnell die Zähne im winzigen Zug-Bad geputzt, dann: pures Glück! Die Sonne begleitet uns auf der Öresundbrücke, gleich geht```s raus und wir stehen in Schweden! Kurzer Aufenthalt in Malmö und unser erster Fika-Moment im "Espresso House". Wir lassen uns in die samtenen Sessel fallen, bestellen Kaffee und kanelbullar (Zimtschnecken). Fika, das ist mehr als Kaffeekränzchen, es meint das entspannte Beisammensein bei Kaffee – drinnen wie draußen auf der Picknickdecke. So viel Zeit haben wir leider nicht mehr, und so beneiden wir nur ein bisschen die Schweden, die auf dem Weg zur Arbeit sind, aber dabei viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen.

Es wird gen Norden immer einsamer

Im Snälltåget rauschen wir weiter durch die skandinavische Landschaft, und es wird immer einsamer. Seen, Wiesen, Wälder. Mit diesem Film, der sich vor dem Zugfenster abspult, kann man einfach mal – nichts tun.

Pünktlich um 13.30 Uhr kommt der Zug in Stockholm Central an! Eine Stadt, in der die U-Bahn "tunnelbana" heißt, hat man schon ins Herz geschlossen, bevor man sie kennt. Knapp eine Million Einwohner, gebaut auf 14 Inseln, verbunden durch 50 Brücken. Design, Natur, Wasser, Radfahrer, Kultur. Als wir in Slussen auf das Boot steigen, das uns nach Vaxholm bringen soll, brennt sich der Blick zurück zur Stadt, die sich rund um den breiten Norrström-Kanal schmiegt und sich von ihrer eindrucksvollen Seite zeigt, tief ein. Nach vorne weitet sich die Ostsee. Die Häuser werden weniger und kleiner, jetzt meist in typischem Falunrot. Wir atmen tief durch, die Luft ist klar und kühl, der Himmel knallblau, die Birken auf den oft winzigen Steininseln leuchten grün.

Ankunft der kleinen, privat betriebenen Lemvig-Bahn in Lemvig, die einen bis direkt an die Dünen Dänemarks bringt.

Ankunft der kleinen, privat betriebenen Lemvig-Bahn in Lemvig, die einen bis direkt an die Dünen Dänemarks bringt. © Hans-Joachim Winckler

Doch wir sind nicht die Einzigen auf Vaxholm. Viele wollen die charmante Insel erkunden. Kaum ein Haus, ein Briefkasten, ein Gärtchen, vor dem nicht fürs Foto posiert wird. Fika-Zeit ist jedoch immer. Zum Beispiel im "Hembygdsgårdscafe". Umrahmt von Wasser sitzt man hier im Grünen, schwedische Schlager dudeln aus der Box.

Nur 72 Stunden Zeit - wir müssen einiges weglassen

Wir haben nur drei Tage in Stockholm. Also auf in die gamla stan, die Altstadt, das alte Schiff "Vasa" besichtigen, im hippen Södermalm in die Geschäfte schauen, ins Museum gehen und sich als kanelbullar med kardemumma-Tester fühlen.

Stockholm ist Liebe auf den zweiten Blick. Die Stadtsilhouette kommt nicht lieblich, sondern nordisch rau daher, dafür durchaus mit Wow-Effekt. Die Norra Tornen, zwei weithin sichtbare Wohnhaustürme erhielten vor vier Jahren den internationalen Hochhauspreis. In der Altstadt wiederum drängen sich bunte Häuser, und um das große Schloss kommt man kaum herum.

Am Abend werfen wir einen Blick in die Bahnhöfe der tunnelbana, die die Stockholmer die längste Galerie der Welt nennen. An 90 von 100 U-Bahnstationen durften sich hier Künstler austoben. Welch grandiose Idee, ihnen diesen Raum zu geben!

Wachablösung mit viel Tamtam am Königlichen Schloss in Stockholm.

Wachablösung mit viel Tamtam am Königlichen Schloss in Stockholm. © Hans-Joachim Winckler

Dann heißt es – Koffer packen. Vor uns liegen erneut rund 1000 Kilometer. Es geht weiter per Zug nach Nordjütland, Unser Ziel, ein Ferienhaus mit Freunden im kleinen Vrist, das nur mit der angestaubten, eingleisigen Lemvig-Bahn angefahren wird, erreichen wir nach einer Übernachtung in Kopenhagen absolut pünktlich und so gemütlich-hygge, wie es in Dänemark sein sollte: Die Bahnstation ist ein Hüttchen, der Steig mit Gras bewachsen. Das Meer hören wir schon.

Mit dem Zug in den Norden und noch weiter, das geht nur langsam, nicht schnell und es braucht Vorbereitung. Was wir auf dieser Reise nicht erlebt haben: Staustress und nervige Umleitungen. Stattdessen: Reisegenuss pur.

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