Zu Ed Sheeran nach Danzig geflogen
Den Pop-Stars durch Europa nachreisen: Darum ist Tour-Tourismus so ein großer Trend
16.11.2024, 08:05 UhrUnd schon wieder jemand mit einem Ed-Sheeran-Souvenir am Gate des Lufthansa-Flugs von Danzig nach Frankfurt! Thomas und Sonja tragen stolz die Tournee-T-Shirts, auf denen groß Gdansk steht. Beide sind erschöpft, aber glücklich. Gleich an zwei Tagen hintereinander haben sie ihren Lieblingssänger bestaunt - und zudem eine pulsierende, facettenreiche Stadt in Polen kennengelernt. Beide sind Mitte vierzig und kommen aus Mannheim. Sie haben etwas gemacht, was seit einigen Jahren zigtausende Menschen in Europa machen: Sie reisen zum Konzert ihres Pop-Stars in eine ferne Stadt.
Neuer Reisetrend kurbelt die Umsätze an
"Tour Tourism" nennt sich dieser neue Reisegrund, der die Tourismus-Branche verzückt. Laut dem Trendreport des Reise-Portals Expedia und der Plattform FeWo-direkt sind 18 Prozent der befragten Deutschen bereit, für ein Konzert ins Ausland zu reisen, unter den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 25 Prozent. Das kurbelt die Umsätze an. Nicht nur bei Hotels, sondern auch bei den Airlines und der Bahn.
Der Hype rund um den US-Star Taylor Swift wird bereits wissenschaftlich untersucht. In den USA sind Experten auf folgende Faustregel bei der "Swiftonomics"-Forschung gekommen: Für jede 100 Dollar, die im Stadion ausgegeben werden, lässt jeder Fan weitere 300 Dollar für Unterkunft, Transport und Essen in der Stadt.
Laut Süddeutscher Zeitung profitierte bei Swifts beiden Konzerten 2024 in München hinsichtlich der Umsätze vor allem das Beherbergungsgewerbe (plus 43 Prozent), weniger die Gastronomie (plus drei Prozent).
Bei Ed Sheeran ein ähnliches Bild wie bei Taylor Swift (bei ihr suchten wegen ihrer drei Konzerte im Fußballstadion "Auf Schalke" sogar US-Amerikaner Hotelzimmer in Gelsenkirchen): Im Vergleich zu den zehn Tagen vor Veröffentlichung von Sheerans Zusatz-Konzertterminen für 2025 haben sich auf Expedia in den betreffenden Zeitfenstern die Suchanfragen für Hamburg verzehnfacht, für Stuttgart mehr als verhundertfacht und für Düsseldorf sogar mehr als verzweihundertfacht.
Ed Sheeran auf "Mathematics Tour"
Im Sommer 2024 spielte Sheeran auf seiner "The Mathematics Tour" in Danzig an zwei Abenden in der jeweils mit 60.000 Fans ausverkauften, bernsteinfarben schimmernden Arena, die für die Fußball-EM 2012 gebaut wurde. Viele der Fans gehen nur zur Show und reisen dann wieder ab, dabei könnten sie das Konzert mit Sightseeing verbinden. Etwa in der ehemals deutschen, dann freien und seit 1945 polnischen Hafenstadt Danzig, auf Polnisch Gdansk.
Sie ist voller Sehenswürdigkeiten. Dafür muss man nicht unbedingt in der von Touristen durchfluteten Altstadt Quartier suchen. Klar: Hier ist es wunderschön. Beispielsweise die Lange Gasse. Ein Straßenzug mit Häusern wie aus einem Historien-Blockbuster. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier aus den Trümmern wieder das Bild einer intakten Handelsstadt aus vergangenen Tagen rekonstruiert. Aber nicht selten verbergen sich hinter der schmucken Fassade Flure, Treppenhäuser und Wohnungen mit dem schlichten Charme des sozialistischen Wohnungsbaus der 1950er und 1960er Jahre.
Gemausert hat sich auch das kulinarische Angebot: Extrem schick ist etwa das "Canis Music & Wine" in der "Hundegasse", in dem moderne Gerichte zu Live-Musik serviert werden - (noch) ein Geheimtipp ist die kleine Fikka-Bar (Swietego Ducha 66), in der "nordische Tapas" serviert werden. Do-it-Yourself samt gemütlichem Beisammensein gibt es bereits für kleine Reisegruppen bei den Piroggen-Kochkursen in der Wohnküche von Judyta Warzecha.
Es lohnt dennoch ein paar Meter außerhalb der quirligen Innenstadt Quartier zu beziehen. Ein echter Tipp ist das Hotel Dwór Uphagena Danzig in einem geschmackvoll sanierten ehemaligen Krankenhaus-Komplex aus dem 19. Jahrhundert.
Auf den Spuren der deutschen Geschichte Danzigs
In diesem Viertel sind überall die Spuren der deutschen Geschichte - von der Hansestadt bis hin zum Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen als Auftakt des Zweiten Weltkriegs - zu entdecken. Heute gibt es rund ums Hotel nette Cafes, schicke Läden, Hinterhof-Biergärten und Clubs. Aber zumindest versucht die Stadt, mit ansässigen Initiativen und engagierten Bürgern die "Gentrifizierung" nicht ausufern zu lassen. Davon berichtet beispielsweise der deutschstämmige Stadtführer Andreas Kasperski.
Ein echter Geschichten-Erzähler, der von der nicht selten angespannten polnisch-deutschen Historie Danzigs berichtet und dabei nie die Gegenwart aus dem Blick verliert. Einer seiner Tipps: Ein Besuch im Museum des Zweiten Weltkriegs, das nach dem Aus der nationalkonservativen PiS-Regierung nun wieder zum kritischen Geschichtsort umgestaltet wird. Auch für einen Abstecher ins Europäische Zentrum der Solidarnosc sollte man sich Zeit nehmen - an den Werften erfahren Sie viel über den Widerstand der Gewerkschaft und der Polen in der sozialistischen Diktatur.
Ein Stück weiter befindet sich 100cznia. Das Schiffscontainer-Dorf zwischen alten Werft-Gebäuden ist quasi ein Non-Stopp-Food-Truck-Festival. Kuba Lukaszewski, der einst als Tontechniker und Tour-Manager für bekannte Bands in der ganzen Welt unterwegs war und seine Frau Alicja Jablonowska haben hier vor ein paar Jahren einen extrem erfolgreichen Anziehungspunkt für Nachtschwärmer geschaffen. Hier gibt es Streetfood, eine riesige Halle für Streetart, jede Menge Sitzmöglichkeiten, einen kleinen Basketball-Platz. Einmal im Jahr sitzen die DJs in der Kanzel eines Krans der benachbarten Werft und heizen ein.
Im 100cznia wird zudem versucht, die Welt ein bisschen besser zu machen: Die Essensstände sollen möglichst wenig Müll produzieren, überall sind originelle Beispiele für "Upcycling" zu entdecken, und Regenwasser wird für den Gemüsegarten gesammelt. Zudem ist dieser Ort auch ein Integrationsprojekt für Geflüchtete.
Auch für Einheimische und Gäste aus aller Welt ist dieses Gelände längst ein Magnet. Ein polnischer Ballermann möchte man aber nicht werden. Dafür verzichten die Macher aufs große Party-Geschäft und schließen am Wochenende bereits um 2 Uhr, wenn es in anderen Clubs erst so richtig los geht. Dann müssen selbst die Tour-Touristen, die zuvor bereits fast drei Stunden ein paar Straßenbahnhaltestellen entfernt wild getanzt haben, weiterziehen - oder zurück ins Hotel.
Weitere Infos zu Reisen nach Danzig
Anreise: per Direktflug von München/Frankfurt z.B. mit Lufthansa. Zugfahrt ab Nürnberg ca. 9,5 bis 11 Stunden.
Hoteltipp: Dwor Uphagena Danzig www.archedworuphagena.pl/de
Kontakt zu Stadtführer Andreas Kasperski via E-Mail an kuenstler@wp.pl
Essen: Restaurant Canis, Fine-Dinner mit Livemusik, canisrestaurant.pl
Samo Dobro bietet einen Kochkurs für Piroggi, www.samodobro.com
Weitere Infos unter www.expedia.de/Danzig.dx1296
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