Abenteuer Radreise

900 Kilometer über die Berge bis ans Meer: Mit dem Fahrrad von Nürnberg nach Venedig

Simone Moser

Redakteurin NN.de

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21.8.2024, 06:00 Uhr
Ein Punkt, der schon lange auf der Bucket-List stand: Einmal von zu Hause mit dem Fahrrad bis ans Meer fahren. Also ging es für unsere Autorin im Juli mit dem Gravel-Bike von Nürnberg bis nach Venedig.

© Simone Moser/Florian Brunner Ein Punkt, der schon lange auf der Bucket-List stand: Einmal von zu Hause mit dem Fahrrad bis ans Meer fahren. Also ging es für unsere Autorin im Juli mit dem Gravel-Bike von Nürnberg bis nach Venedig.

Einmal mit dem Fahrrad von zu Hause bis ans Meer fahren und das aus eigener Kraft. Ein Punkt, der schon lang auf meiner Liste mit den Lebenszielen stand. Im Juli war es dann endlich so weit, das Wetter war für eine Woche (einigermaßen) gut gemeldet, also sollte es losgehen ins ganz besondere Sommer-Abenteuer: mit dem Rad von Nürnberg bis nach Venedig.

Die Route - warum einfach, wenn's auch kompliziert geht?

Auf der Strecke von Nürnberg nach Venedig kann man zwischen mehreren bekannten Fernradrouten wählen. Da ist einmal der "Klassiker", der über München durch die Dolomiten direkt nach Venedig führt. Oder die Via Claudia, die Alte Römerstraße, die Augsburg über Südtirol mit dem Gardasee verbindet. Weil wir jedoch auf die Highlights beider Touren nicht verzichten wollen, beschließen wir kurzerhand die Routen zu kombinieren und somit von Nürnberg nach Augsburg über Füssen, Reutte und den Reschenpass nach Südtirol zu fahren. Dort durch Meran, Bozen und Brixen zu radeln, um anschließend die Route durch die Dolomiten fortzusetzen und über Venetien bis nach Venedig zu radeln. Mein Partner Florian und ich, 900 Kilometer, 7000 Höhenmeter, 7 Tage Zeit.

Die Gepäckfrage

Es fühlt sich gut an, diese besondere Reise direkt vor der Haustür zu starten – gut, aber auch etwas merkwürdig. Ist es schon Urlaub, wenn man erst seinen Arbeitsweg entlang radelt? Ja, ist es. Und es ist verdammt cool einfach weiterzufahren, raus aus der Stadt und rein ins Grüne bis ins Seenland. Unser erstes kurzes Päuschen machen wir am Brombachsee. Und während wir anschließend weiter strampeln, der Hintern langsam beginnt zu schmerzen und das Eingangstor zu Weißenburg vor mir auftaucht, wird mir bewusst, wie groß unser mediales Verbreitungsgebiet tatsächlich ist. Wohl wissend, dass wir noch einige Kilometer vor uns haben, fahren wir weiter. Bis wir endlich Augsburg erreichen, unser heutiges Etappenziel.

Alles, was wir auf unserer Reise brauchen, befindet sich in kleinen Taschen an unseren Fahrrädern. Ein Sportoutfit, eines für abends, Zahnbürste, Regenjacke, Ersatzschlauch, Werkzeug und ein paar Riegel – mehr haben wir nicht. Denn jedes Gramm mehr macht sich spätestens beim ersten längeren Anstieg bemerkbar.

Unser gesamtes Gepäck befindet sich in den kleinen Taschen am Fahrrad, in der Lenkertasche und der Satteltasche.

Unser gesamtes Gepäck befindet sich in den kleinen Taschen am Fahrrad, in der Lenkertasche und der Satteltasche. © Simone Moser

Am nächsten Morgen wache ich auf – mit Muskelkater. Noch nie zuvor bin ich 150 Kilometer am Stück Fahrrad gefahren und das macht sich jetzt bemerkbar. Ich hangle mich am Treppengeländer entlang hinunter in den Frühstücksraum und bin beruhigt, dass es Flo nicht viel besser geht. Wir frühstücken, nein, wir spachteln, denn wir brauchen Energie für die nächste Etappe.

Ein Erdbeereis in Landsberg am Lech wird uns zum Verhängnis

Wieder stehen rund 150 Kilometer auf unserem Plan, doch diesmal sitzen uns dunkle Wolken im Nacken. Diese können uns jedoch nicht von einem Abstecher nach Landsberg am Lech abhalten, wo wir in der charmanten Altstadt vorm Bayertor zwei Kugeln Erdbeereis genießen. Doch der Weg zurück auf unsere Route wird zum Abenteuer: Unsere Navigationssoftware schickt uns quer durch den Wald, über umgestürzte Bäume und Brennnesselfelder. Wir tragen unsere Fahrräder und zu allem Überfluss beginnt es jetzt aus Kübeln zu regnen. Zum ersten Mal möchte ich einfach nur nach Hause.

Zum Glück sind unsere Gravel-Bikes mit rund 9 Kilogramm nicht schwer. So können wir sie das Stück durch den Wald tragen.

Zum Glück sind unsere Gravel-Bikes mit rund 9 Kilogramm nicht schwer. So können wir sie das Stück durch den Wald tragen. © Simone Moser

Nass bis auf die Knochen kämpfen wir uns zurück auf den richtigen Weg und mit dem Verschwinden der Regenwolken eröffnet sich der Blick auf die majestätischen Alpen, die am Horizont immer näher rücken. Nach einigen Stunden erreichen wir Füssen und Schloss Neuschwanstein, bevor wir schließlich über die Grenze nach Österreich radeln, um unsere zweite Etappe in Reutte zu beenden. Müde, doch zufrieden und glücklich. Und ab sofort mit einem Handy weniger, denn meines hat – im Gegensatz zu mir - nach dem heftigen Regen den Geist aufgegeben.

Der nächste Morgen verspricht Spannung und Herausforderung zugleich, denn die Alpen warten. Die Route führt über den Fernpass, einen der ältesten Übergänge durch das Gebirge. Die Steigung ist eine echte Prüfung für die Beine, doch die Mühe wird mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Der Blick auf die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschlands, ist ein Moment, der die Strapazen vergessen lässt.

Doch der Anstieg bleibt heute nicht der einzige: Als großes Finale steht nach einer vergleichsweise entspannten Etappe entlang am Inn der Reschenpass an, der ein weiteres Mal viel Kraft und viele Nerven kostet. Immer wieder frage ich mich, "Warum tu’ ich das?" Doch die Antwort kommt mit dem Ausblick: Jeder Kilometer, jede Kurve bietet ein einzigartiges Panorama. Als schließlich der Ortler am Horizont auftaucht, für mich ein Sehnsuchtsberg, rollt mir ein Tränchen übers Gesicht. 130 Kilometer und 2000 Höhenmeter haben wir am Ende des Tages in den Beinen.

Ich bin sportlich sehr fit, doch die Distanzen machen sich bemerkbar. Mit Muskelkater strampeln wir Tag für Tag weiter - und Anblicke wie diese lassen die Strapazen schnell vergessen. Der Ortler (im Hintergrund rechts) wurde noch bis zum Sonnenuntergang angeleuchtet.

Ich bin sportlich sehr fit, doch die Distanzen machen sich bemerkbar. Mit Muskelkater strampeln wir Tag für Tag weiter - und Anblicke wie diese lassen die Strapazen schnell vergessen. Der Ortler (im Hintergrund rechts) wurde noch bis zum Sonnenuntergang angeleuchtet. © Simone Moser

Die Energiefrage

Setzt man seinen Körper solchen Strapazen aus, entwickelt man wohl einen ganz eigenen, ganz merkwürdigen Appetit. So habe ich auf meiner gesamten Reise ausnahmslos jeden Abend das unsägliche Verlangen nach Pizza gehabt. Und spätestens jetzt, wo wir in Südtirol und damit in Italien, der Heimat der Pizza, angekommen sind, fühlt es sich an, als wäre dieses Verlangen endlich am richtigen Ort angekommen.

Vom Reschensee geht es auf der nächsten Etappe über Meran und Bozen entlang der Etsch bis nach Brixen. Die erste Abfahrt hinab ins Tal ist ein wahrer Genuss, es geht in steilen Serpentinen hinab – rasante Abfahrten und spektakuläre Ausblicke inklusive. Die Vegetation wird üppiger, die Bergwelt weicht langsam dem grünen Tal und es wird wieder heißer. Bei über 30 Grad kommen wir durch Meran und schließlich durch Bozen, wo der berühmte Ötzi ausgestellt ist – die Mumie eines Mannes aus der Jungsteinzeit, der in den Ötztaler Alpen gefunden wurde.

In Südtirol werden die Farben intensiver.

In Südtirol werden die Farben intensiver. © Simone Moser

Die Mischung aus italienischer Leichtigkeit und alpiner Bodenständigkeit fasziniert uns, gern würden wir in dem farbenfrohen Städtchen mehr Zeit verbringen, doch wir haben noch einige Kilometer bis nach Brixen vor uns, die Heimat des wohl berühmtesten Bergsteigers Reinhold Messner.

Einprägsame Begegnungen

Auf einer langen Radreise trifft man unweigerlich Menschen, die den Weg auf eine ganz besondere Weise unvergesslich machen. Besonders beeindruckt hat mich Martin, der mit seinem Fahrrad auf dem Weg von München zum Gardasee war – mit nur einem Bein. Er kämpfte sich gerade einen steilen Schotterhang hinauf, als ich ihm zur Hilfe eilte. Wir fahren schließlich ein Stück zusammen weiter. Martins Ausdauer und seine positive Energie sind ansteckend. Es gibt eben keine Grenzen, außer denen, die wir uns selbst setzen. Diese Begegnung hat mich tief berührt und gezeigt, dass wahre Stärke darin liegt, wie wir Hindernissen begegnen.

Apropos Hindernisse

Ja, eine Radreise ohne Pannen ist keine Radreise. Doch auf vier platte Reifen hätte ich durchaus verzichten können. Die Etappe durch die Dolomiten sollte (eigentlich) eine der schönsten werden, hätte eine kleine - fast unsichtbare -Glasscherbe im Mantel meines Reifens uns nicht beinah zum Abbrechen gebracht und uns viel Zeit und viele Nerven gekostet.

Die Dolomiten. Markante Felsformationen und schroffe Gipfel. Ein wahres Naturwunder. Nach schier endlosen Anstiegen und hunderten von Kilometern hatten wir es nun also mitten in diese einzigartige und gewaltige Bergwelt geschafft. Die Dolomiten haben etwas Majestätisches an sich, eine raue Schönheit, die man spürt, wenn man sich ihnen stellt.

Der Blick auf die Drei Zinnen entlohnt für all die Strapazen des Anstiegs.

Der Blick auf die Drei Zinnen entlohnt für all die Strapazen des Anstiegs. © Florian Brunner

Die letzte lange Etappe

Der Muskelkater wird täglich stärker, der Hintern schmerzt, alles tut furchtbar weh. Und dennoch steigen wir wieder auf unser Fahrrad und treten die letzte lange Etappe an, von Cortina d’Ampezzo entlang der Piave durch Venetien bis nach Treviso, ein charmantes Städtchen wenige Kilometer vor Venedig. Auch wenn die meisten Höhenmeter geschafft sind, ist die Etappe zäh. Es wird mit jedem Meter heißer, die Schmerzen nahezu unerträglich. Die Strecke erscheint endlos. Wir fahren durch verlassene Dörfer, das "Dolce Vita" suchen wir zunächst vergebens. Bis wir schließlich erschöpft die Prosecco-Gegend und Treviso erreichen. Der Ort überrascht uns mit gut erhaltener mittelalterlicher Architektur und venezianischer Atmosphäre. Es wirkt fast wie ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns am nächsten Tag erwarten würde.

Ausblicke wie diese lassen den Muskelkater vergessen.

Ausblicke wie diese lassen den Muskelkater vergessen. © Florian Brunner

Gut 30 Kilometer trennen uns nun also noch vom Ziel. Eineinhalb Stunden auf dem Fahrrad – quasi nichts. Und dann sehen wir sie vor uns, die Ponte della Libertà, die Brücke, die Mestre mit Venedig verbindet. Es ist ein überwältigendes Gefühl, diese Brücke mit dem Fahrrad zu überqueren, die Lagunenstadt im Blick. Wohl wissend, dass man vor einer Woche in Nürnberg gestartet ist.

Stolz wie Oskar

Wir haben es also wirklich geschafft. Wir sind angekommen in der Stadt, die auf über 100 Inseln in der Lagune gebaut ist, in der Stadt mit den berühmten engen Gassen, den historischen Palästen und malerischen Kanälen. Es scheint immer noch surreal, wie wir über die Rialto-Brücke laufen und Richtung Markusplatz schlendern.

Wir haben es geschafft. Ab der Ponte della Libertà geht es zu Fuß weiter.

Wir haben es geschafft. Ab der Ponte della Libertà geht es zu Fuß weiter. © Simone Moser

Zwei Aperol-Spritz später stehen wir nun also da, blicken auf die Basilika und den Dogenpalast und realisieren, was wir geleistet haben. Hinter uns liegen 900 Kilometer und 7000 Höhenmeter voller beeindruckender und unvergesslicher Momente, toller Landschaften, wunderschöner Natur, Städtchen, Muskelkater und unbeschreiblicher Schmerzen. Mir fließen Tränen übers Gesicht. Freudentränen, denn ich bin stolz wie Oskar.

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