Keine Zukunft für Benziner und Diesel
Verbrenner-Aus ab 2035: Die wichtigsten Fragen und Antworten
9.6.2022, 09:09 UhrEs geht voran mit der Elektromobilität. Im Monat Mai 2022 haben rein batterieelektrische Fahrzeuge, die sogenannten BEVs, bereits einen Anteil von 14,1 Prozent an den bundesweiten Neuzulassungen erreicht. Das meldet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in seiner aktuellen Statistik. Im Umkehrschluss bedeuten diese Zahlen aber auch, dass der überwiegende Teil der Autokäufer nach wie vor auf ein Modell mit Verbrennungsmotor setzt – und sei es nur als Teil eines Hybrid- oder Plug-in-Hybridsystems. Dass wir alle in nicht allzu ferner Zeit auf ein reines Elektroauto umstellen – diese Vorstellung ist vielen noch fremd. Dabei hat das EU-Parlament jetzt eine Entscheidung getroffen, die genau auf ein solches Szenario hinausläuft. Das steckt dahinter:
Um was geht es eigentlich?
Die Automobilhersteller bekommen es in der EU mit immer schärferen CO2-Flottengrenzwerten zu tun. Ausgehend vom Jahr 2021 müssen die CO2-Emissionen neuer Pkw und Nutzfahrzeuge bis 2025 um weitere 15, bis 2030 gar um 55 Prozent sinken. Für 2035 wird ein Rückgang um 100 Prozent verlangt. Das bedeutet: Neuwagen dürfen dann überhaupt kein CO2 mehr ausstoßen. So hat es das EU-Parlament mit einer Mehrheit von 339 gegenüber 249 Stimmen beschlossen.
Wenn sie die Vorgaben aus Brüssel nicht einhalten, dann wird es teuer für die Hersteller – es drohen hohe Strafzahlungen.
Was soll damit erreicht werden?
Ein Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel. Das Klimapaket „Fit for 55“ der EU sieht vor, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Im Vergleich zu 1990 sollen die Treibhausgasemissionen schon bis 2030 um 55 Prozent sinken. Um das Ziel der Dekarbonisierung zu erreichen, wird auch der Verkehrssektor in die Pflicht genommen. Nach einem Bericht der Europäischen Umweltagentur war der Verkehr im Jahr 2019 für etwa ein Viertel der EU-weiten CO2-Emissionen verantwortlich, etwa 72 Prozent davon entfielen auf den Straßenverkehr, davon gingen wiederum 11 Prozent aus Konto leichter Nutzfahrzeuge und rund 61 Prozent auf das von Pkws.
Durch den Ukraine-Krieg ist außerdem ein anderes Bestreben hinzugekommen. Es gilt, sich von russischem Öl unabhängig zu machen. „CO2-Grenzwerte sind das Instrument der Wahl, um die Emissionen von Autos rasch zu senken, die Elektrifizierung im Verkehr zu beschleunigen und unsere Abhängigkeit vom Öl zu beenden“, sagt Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des alternativen Verkehrsclubs Deutschland (VCD).
Was hat das alles mit dem Verbrennungsmotor zu tun?
Mit seinem Beschluss hat das EU-Parlament kein Verbot von Benzinern und Dieseln ausgesprochen. Aber alles läuft darauf hinaus. Denn null Emissionen sind mit dem Verbrenner nicht zu machen. Das funktioniert nur mit batterieelektrischen Autos oder mit solchen, die eine Brennstoffzelle nutzen und mit Wasserstoff fahren.
Aber auch das Elektroauto hat doch keine blütenweiße CO2-Weste?
Das stimmt. Relevant ist für die EU aber nur, was das Auto im Fahrbetrieb emittiert. Die Produktion des Autos und der Antriebsbatterie bleibt außen vor, gleiches gilt für die Herstellung von Wasserstoff und die Stromerzeugung.
Auch hier setzt Kritik an. Tatsächlich zeigt ein Blick auf den deutschen Strommix, dass der Anteil konventioneller Energieträger wie Kohle, Gas und Kernkraft im ersten Quartal 2022 bei fast 53 Prozent gelegen hat. Allein 31,5 Prozent gingen aufs Konto der Kohle. Ob regenerative Energie in ausreichendem Maß verfügbar ist, um den künftig – auch durch die E-Mobilität - stark steigenden Strombedarf zu decken, ist derzeit noch fraglich, zumal sich nach wie vor das Problem stellt, dass der Ertrag an Wind- und Sonnenstrom vom Wetter abhängt und daher schwankt. Andererseits gibt es noch kaum Möglichkeiten, Überkapazitäten der „Erneuerbaren“ zu speichern.
Werden die Autohersteller jetzt in die Bredouille gebracht?
Nicht wirklich. Die meisten haben ohnehin schon ihren Ausstieg aus dem Verbrenner verkündet und terminiert, oft schon auf einen Zeitpunkt, der noch vor der EU-Deadline 2035 liegt. Stellantis-Chef Carlos Tavares beispielsweise hat eben erst in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bestätigt, dass die deutsche Marke Opel schon ab 2028 keine Verbrennungsmotoren mehr produzieren will, Fiat – eine andere Stellantis-Marke – plant, das Verbrenner-Aus auf 2027 vorzuziehen, bei VW ist von 2033 bis 2035 die Rede, bei Ford von 2030. Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow hatten mehrere große Auto-Hersteller – unter anderem Volvo und Mercedes – sogar von sich aus einen Verkaufsstopp für Verbrenner ab 2035 verlangt. Zudem bauen so gut wie alle Hersteller ihr Angebot an Elektroautos kontinuierlich aus und sind auch in dieser Hinsicht vorbereitet.
Allerdings gibt es bei den Ausstiegsszenarien eine feine Nuance zu beachten: Sie beziehen sich zumeist auf Europa, nicht aber auf andere Ecken dieser Welt, in denen Benziner und Diesel auch weiterhin verkauft werden dürfen – was die Automobilhersteller denn auch tun werden.
Gibt es denn gar keine klimafreundlichen Alternative zum Elektroauto?
Doch, und auch das ist ein Thema, das die Kritiker beschäftigt. Sie bemängeln beispielsweise, dass synthetische Kraftstoffe und e-Fuels den Verbrenner retten könnten, aber nicht angerechnet werden. „Allein mit der Elektromobilität werden sich im Verkehr die ambitionierten Klimaschutzziele nicht erreichen lassen“, heißt es beim ADAC, deshalb wäre es nach Ansicht des Clubs notwendig gewesen, „auch eine Perspektive für den klimaneutral betankten Verbrennungsmotor zu öffnen“.
Ähnlich äußert sich Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA): „Um die Klimaziele zu erreichen, werden alle Technologien gebraucht, auch E-Fuels“. Solche Kraftstoffe könnten nach Ansicht Müllers die CO2-Emissionen der Bestandsflotten reduzieren, von jenen 1,5 Milliarden Fahrzeugen also, die weltweit noch mit Verbrennungsmotor auf den Straßen unterwegs sind und das perspektivisch für eine ganze Weile tun werden.
Die Herstellung von E-Fuels läuft so ab, dass Wasser mithilfe von Strom – idealerweise aus regenerativen Quellen – per Elektrolyse in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) aufgespalten wird. Der Wasserstoff wird anschließend mit Kohlendioxid (CO2) angereichert, der aus der Umgebungsluft stammt oder als Abfallprodukt aus industriellen Prozessen stammt. Letztlich emittieren mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge also nur das CO2, aus dem ihr Kraftstoff hergestellt worden ist. Das läuft auf Klimaneutralität hinaus, entspricht aber – so paradox das klingt – nicht dem von der EU-geforderten CO2-freien Betrieb des Fahrzeugs.
Gegen die E-Fuels spricht der hohe Energiebedarf, der zu ihrer Produktion nötig ist. Zudem geht jeder der vielen Herstellungsschritte mit Wirkungsverlusten einher. In der sogenannten „Well-to-Wheel“-Bilanz würden von der eingesetzten Energie letztlich nur zehn bis 15 Prozent am Rad ankommen, rechnet der ADAC vor. Letztlich mag es somit sinnvoller sein, den Strom gleich direkt in die Batterie eines Elektroautos fließen zu lassen.
„Zudem sind die Kapazitäten auf Dauer zu gering“, sagt Michael Müller-Görnert vom Verkehrsclub Deutschland. Tatsächlich gibt es Stimmen, die dafür plädieren, die E-Fuels besser in Flugzeugen oder großen Schiffe einzusetzen, die für batterieelektrischen Antrieb eher nicht infrage kommen.
Die Autoindustrie habe sich längst für den Elektroantrieb entschieden, stellt Müller-Görnert fest, entsprechend dürfe es keine Schlupflöcher für E-Fuels geben.
Was sagen die Kritiker noch?
Dass die Entscheidungsträger eine mangelnde Technologieoffenheit an den Tag legen. Die ausschließliche Fokussierung auf batterieelektrische Mobilität ersticke jegliche ingenieurstechnische Kreativität im Keim, die zu alternativen Lösungen führen könne. Den europäischen Unternehmen und ihren Forschungsabteilungen werde „die Chance genommen, durch die Entwicklung von Hochwirkungsgradmotoren und die Produktion von regenerativen, CO2-neutralen Kraftstoffen den Verbrennungsmotor zu einem klimaneutralen Antrieb der Zukunft zu machen“, moniert der Automobilclub von Deutschland (AvD). Ohne Not würde Europa eine „enorme Wertschöpfung aus der Hand geben, die dann von China, Südkorea und anderen technologieoffenen Ländern mit Freude übernommen werden wird“. Und eine Gruppe von 300 Wissenschaftlern, zu der unter anderem Thomas Koch gehört, der als Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) tätig ist, hat einen Brief an die EU-Parlamentarier gerichtet und sie dazu aufgerufen, von „Technologiefeindlichkeit“ abzusehen.
Muss ich meinen Verbrenner bald verschrotten?
Nein. Erstens ist es bis 2035 noch eine Weile hin. Und zweitens werden die strengen Grenzwerte nicht für bereits zugelassene Bestandsfahrzeuge gelten.
Ist das Null-Prozent-Ziel schon beschlossen?
Nicht ganz. Erst müssen die einzelnen EU-Staaten noch zustimmen. Deutschland hat sein Einverständnis bereits signalisiert.
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