Bis zu 230 Kilometer Reichweite
Microlino: Erst Testfahrt im elektrischen Isetta-Klon
23.4.2023, 19:22 UhrSo viel Sympathie war selten: Während dicke SUVs nicht vor bösen Blicken gefeit sind, hellen sich die Mienen auf, sobald der Microlino um die Ecke biegt. Dabei dürften nicht allzu viele Betrachter das historische Vorbild dieses Winzlings noch leibhaftig erlebt haben: Der Microlino eifert der legendären Isetta nach, die BMW von 1955 bis 1962 gebaut hat. Wie andere Rollermobile – das Goggomobil etwa, die Heinkel Kabine oder der Messerschmitt Kabinenroller – erfreute sich das Zwischending aus Auto und Motorrad in der Nachkriegszeit großer Beliebtheit. Unternehmungslustig tuckerte man mit der Isetta sogar über den Brenner, den sonnigen Urlaubszielen am Gardasee oder an der Adria entgegen.
Zumindest bei den Jüngeren oder ganz Jungen dürfte der Retro-Charme des Microlino also nicht als entscheidendes Kaufargument verfangen. Was zieht aber dann? Merlin Ouboter muss es wissen. Er selbst ist erst 27 Jahre alt, gemeinsam mit seinem Bruder Oliver (28) und Vater Wim – der Ende der 1990er-Jahre übrigens den zusammenklappbaren Kickscooter populär gemacht hat – steht er hinter dem Schweizer Familienunternehmen Micro, aus dessen Stall die elektrische Neuauflage der Isetta kommt. Bereits 2015 begannen Merlin und Oliver mit der Microlino-Entwicklung, damals waren die Brüder gerade einmal im Abi-Alter. 2016 gelang es, auf dem Genfer Automobilsalon einen Prototyp zu platzieren, der innerhalb von zwei Tagen rund 500 Reservierungen absahnte. Doch dem vielversprechenden Start folgten zunächst diverse Irrungen, Wirrungen und eine, so Merlin Ouboter, „unschöne Geschichte“ mit einem Produktionspartner, die letztendlich dazu führte, dass die Firma Electric Brands Ende 2023 wohl einen Microlino-Klon namens Evetta auf den Markt bringen wird.
Gebaut in Italien
Aber: Der Original-Microlino hat es geschafft, die Nase vorn zu behalten. In der Schweiz ist er bereits erhältlich und ab sofort auch in Deutschland, produziert wird er beim italienischen Kleinserienhersteller Cecomp in Turin.
Nach dem Kurztrip in die achtjährige Microlino-Geschichte zurück zu dem, was den Stadtfloh auch für diejenigen attraktiv machen soll, die nichts mehr mit der Isetta anzufangen wissen. Merlin Ouboter sieht da einen generationenübergreifenden Sympathiebonus. „Sicher ist es von Vorteil, diese Isetta-Heritage zu haben“, sagt der Schweizer Jungunternehmer. Doch gleichzeitig erlebe er es immer wieder, dass schon die automobilhistorisch unbewanderten Kinder „happy mit dem Finger auf den Microlino zeigen“. Erkenntnis: „Wenn man die Isetta nicht kennt, spielt das eigentlich gar keine große Rolle“.
Nicht wirklich ein Auto
Vom Retro-Auftritt einmal abgesehen, verkörpert der Kleine tatsächlich auch das, was in Sachen Elektromobilität noch vielfach fehlt und gefordert wird: Der Microlino ist ein leichtes, kleines Fahrzeug für die City - nicht wirklich ein Auto, sondern ein Elektro-Leichtfahrzeug und als solches in die Klasse L7e eingestuft. Ohne Batterie wiegt das Rollermobil lediglich 435 Kilogramm, mit gerade einmal 2,52 Metern Länge, 1,47 Metern Breite und 1,50 Metern Höhe sieht es in Wirklichkeit noch einmal schmaler aus als auf Bildern.
An Bord gibt es nur das Notwendigste – eine verschiebbare Zweier-Sitzbank mit nicht-neigungsverstellbarer Rückenlehne, ein kleines Fahrerdisplay und eine sogenannte Touch-Bar-Bedienleiste, ferner einen Drehknopf zum Einstellen der Fahrstufen sowie USB-Anschlüsse, die auch deshalb wichtig sind, weil das Smartphone die Aufgaben von Navi und Audiosystem übernimmt; die Beschallung des Innenraums erfolgt über einen Bluetooth-Lautsprecher. Lenkrad- und Gurthöhenverstellung fehlen ebenso wie Innenspiegel (unnötig), Klimaanlage oder elektrische Fensterheber. Auch ein Feintuning für die Heizung ist nicht vorgesehen, entweder heizt der Microlino gar nicht oder mit voller Leistung. Immerhin bekommen die höheren Ausstattungsvarianten den Luxus eines Stoff-Schiebedachs.
Kofferraum für drei Getränkekisten
Zugang nach innen gewährt eine Fronttür, die per Knopfdruck nach vorne aufschwingt. Wie der Einstieg am besten gelingt, erklärt man uns folgendermaßen: Eintreten, aufrecht stehenbleiben, dann umdrehen, die Schlaufe der Tür ergreifen und selbige während des Platznehmens zuziehen. Hinter einer Heckklappe tut sich ein erstaunlich großer 230-Liter-Kofferraum mit doppeltem Ladeboden auf, bis zu drei Getränkekisten lassen sich unterbringen.
Für den Vortrieb zeichnet ein 12,5 kW/17 PS starker Elektromotor mit 89 Newtonmetern Drehmoment verantwortlich, der seine Kräfte an die Hinterräder transferiert und mit drei verschiedenen Batteriegrößen zu kombinieren ist. Die kleinste (6 kWh) taugt für 91 Kilometer Reichweite, die mittlere (10,5 kWh) für 177 und die größte (14 kWh) für 230 Kilometer. Aufgeladen wird mit 2,6 kW an der AC-Ladestation oder -Wallbox beziehungsweise an der Haushaltssteckdose, je nach Akkugröße dauert es drei bis vier Stunden, die Batterie von 0 auf 80 Prozent zu befüllen. Gleichstrom-Schnellladen ist, wenig überraschend, nicht möglich. Auch der Stromverbrauch hängt von der Batteriegröße ab, genannt werden 5,9 bis 6,6 kWh/100 km.
Möchte man mit dem Microlino, so wie einst die Wirtschaftswundergeneration per Isetta, an den Gardasee fahren? Nicht wirklich. Konzipiert wurde der kleine Zweisitzer dezidiert für den urbanen Raum. Und die Art der Fortbewegung ist schon eine ziemlich rudimentäre. Wir sind erstaunt, wie laut ein Elektrofahrzeug sein kann, der Geräuschpegel steigt mit der Geschwindigkeit und insbesondere dann, wenn der Sportmodus aktiviert wird. Das Abrollverhalten fällt ziemlich rustikal aus, „Achtung“, warnt die Beifahrerin, sobald eine Querfuge im Vorfeld auftaucht.
Zugestehen muss man dem Microlino aber, dass er seine beiden Insassen flink und wunderbar wendig durch den Großstadtdschungel transportiert. Einparken funktioniert auch quer, das erleichtert die Parkplatzsuche, wobei wir nicht ganz sicher sind, wie sich die Sache mit der nach vorne öffnenden Fronttür in knappen Längs-Parklücken darstellt. Die Spitze von 90 km/h macht auch Ausflüge jenseits der Stadtgrenzen möglich, ohne dass dabei das beunruhigende Gefühl aufkommt, für andere Autos oder Motorräder ein unerwartetes Verkehrshindernis zu sein.
Ohne ASB, ESP und Airbags
Der Microlino sei „ein sicheres Fahrzeug“, beteuert Merlin Oubuter und verweist auf die selbsttragende Karosserie aus Stahl und Aluminium, die gegenüber dem in dieser Fahrzeugklasse üblicherweise verwendeten Gitterrohrrahmen Sicherheitsvorteile biete. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es weder ABS, ESP noch Airbags gibt, all dies ist in der Fahrzeugklasse L7e auch nicht vorgeschrieben. Mangels einer vorderen Knautschzone möchte man lieber keinen Frontalaufprall erleben.
Zu bestellen ist das Wägelchen ausschließlich online, beginnend mit München sind deutschlandweit aber elf großstädtische Showrooms und Service-Stützpunkte geplant, unter anderem einer zwischen Nürnberg und Würzburg, wo genau, ist noch unklar.
Wie sich der Microlino verkaufstechnisch schlägt, wird spannend zu beobachten sein. Billig ist er nämlich nicht. Die zum Marktstart in Deutschland angebotene Pioneer-Edition mit mittlerer Batterie kommt auf 22.690 Euro. Und anders als für "richtige" Elektroautos gibt es für L7e-Fahrzeuge bislang keine staatliche Förderung, was durchaus zu einem Wettbewerbsnachteil führt. Ein Dacia Spring Electric, der mit einem Einstiegspreis von 22.750 Euro sowieso kaum teurer ist, kostet nach Abzug des Umweltbonus nur noch rund 15.500 Euro. Ganz fair ist das nicht.
Cabrio in Sicht
Zumindest stellt Micro aber noch weitere Microlino-Versionen in Aussicht, die dann schon für kleineres Geld vorfahren: In der zweiten Jahreshälfte 2023 folgen das Einstiegsmodell „Urban“ mit 6-kWh-Batterie, Kostenpunkt ab 17.690 Euro, ferner die Editionen „Dolce“ (ab 19.690 Euro) und „Competizione“ (ab 21.690 Euro). Für 2024 befindet sich außerdem eine Cabrio-Version in Vorbereitung. Darüber hinaus hat Micro eine auf 45 km/h gedrosselte „Light“-Version angekündigt. Wie beispielsweise der Opel Rocks-e könnte sie mit Führerscheinklasse A und bereits von Teenies ab 15 Jahren gefahren werden.
Microlino „Pioneer Series“ in Kürze:
Wann er kommt: Ist bereits bestellbar.
Wen er ins Visier nimmt: Renault Twizy, Opel Rocks-e, aber auch Smart EQ fortwo oder Dacia Spring Electric.
Was ihn antreibt: Elektromotor mit 12,5 kW/17 PS.
Was er kostet: Ab 22.690 Euro.
Was noch folgt: In der zweiten Jahreshälfte 2023 günstigere Varianten ab 16.690 Euro sowie kleinere und größere Akkugrößen. 2024 ein Cabrio. Eine auf 45 km/h gedrosselte L6e-Version, Starttermin noch unbekannt.
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