Elektrischer Nobel-Crossover
Fahrbericht: Genesis Electrified GV70
1.4.2023, 17:47 UhrWas er darstellt: Einen 4,72 Meter langen Crossover, der viel vom SUV und ein klein wenig vom Coupé hat. Bei der Modellbezeichnung kommt es auf das erste Wort an: „Electrified“ weist auf vollelektrischen Antrieb hin und ist deshalb zu betonen, weil es den GV70 auch als Benziner und als Diesel gibt. Darin unterscheidet er sich vom etwas kürzeren Genesis GV60, der die spezielle Elektro-Plattform E-GMP nutzt, auf der auch Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 aufbauen.
Genesis ist bekanntlich die Luxusmarke des südkoreanischen Konzerns. Bei aller Stattlichkeit wirkt der Electrified GV70 denn auch sehr elegant, optisch strahlt er eine würdevolle Ruhe aus, wie sie der Premium-Mittelklasse angemessen ist. Hinter dem dekorativen „Crest“-Kühlergrill verbirgt sich eine aktive Luftklappe, die zwecks Verbesserung des Luftstroms automatisch schließt. Die Doppelreihe in den „Quad“-Scheinwerfern findet in den Rückleuchten ihre Entsprechung. Recht tief sitzen die Bremslichter – zu tief, hat ein Hintermann moniert, der sie im dichten Stadtverkehr nicht wahrgenommen hat.
Wie er eingerichtet ist: Sehr edel und sehr luxuriös: Perfekte Verarbeitung, edle Materialien, gegen Aufpreis Leder allerorten, nicht nur auf den komfortablen, bis hin zur Liegeposition verstellbaren Massagesitzen, sondern auch am dick aufgeschäumten Lenkrad. Eine tierhautfreie Alternative gibt es leider nicht, Vegetarier und Veganer könnten da gleich mal dankend abwinken.
Im Blickfeld liegt neben dem klar strukturierten Head-up-Display das heutzutage obligatorische digitale Fahrerinstrumentarium. Optional bekommt es integrierte Kameraaugen, sie verfolgen die Blickrichtung des Fahrers und heben die Informationen im direkten Sichtbereich dann dreidimensional hervor. Bei gesetztem Blinker spielt der Totwinkelassistent Bilder aus dem uneinsehbaren Bereich ein, das kommt einem zusätzlichen digitalen Rückspiegel gleich, ist sehr sinnstiftend, kostet aber extra. Den Klimatisierungsfunktionen widmet sich ein kleiner Mini-Touchscreen, drumherum drapiert hat Genesis diverse physische Bedienelemente, der digital-analoge Mix hat uns gut getaugt. Fürs Infotainment ist ein berührungsempfindlicher Zentralbildschirm zuständig, der nach unserem Empfinden allerdings einen Tick zu weit hinten positioniert wurde, als dass ihn der Zeigefinger wirklich bequem erreichen könnte. Nicht unbedingt glücklich erscheint auch die Lösung, den Fahrstufenwahlschalter und den Infotainment-Controller gleichsam als runde Drehregler anzulegen und diese hintereinander zu positionieren, man vertut sich da leicht. Und das Verständnis der Sprachsteuerung ist noch ausbaufähig.
Wer Interesse daran hat, all das kennenzulernen, was das Infotainment an Konfigurationsmöglichkeiten bereitstellt, sollte zumindest eine ruhige Stunde für eine autodidaktische Tiefenerkundung reservieren. Danach wird man wissen, wo sich der (überflüssige) künstliche Motorsound aktivieren lässt, auf welchem Wege verschiedene akustisch-visuelle Innenraumstimmungen zu erzeugen sind oder wie sich die Suche nach der passenden Ladestation (dazu später mehr) gestaltet.
Wie viel Platz er hat: Vorne thront man auf fürstlichem Business-Class-Niveau. Auch im rückwärtigen Bereich herrscht keineswegs klaustrophobische Enge, allerdings wird die Kopffreiheit von der ansonsten schmucken Dachschräge etwas beeinträchtigt. Unter der Motorhaube wartet ein zusätzliches 25-Liter-Staufach, wir finden es aber allemal praktischer, die Heckklappe zu öffnen, den zuständigen Knopf mussten wir erst einmal suchen, gefunden haben wir ihn am Heckscheibenwischer, Bücken überflüssig.
Der Gepäckraum weist ein Volumen von 503 bis 1678 Litern auf, ist aber verhältnismäßig flach ausgeformt und die abfallende Dachlinie schränkt die Ladehöhe noch zusätzlich ein, sperrige Kartons müssen draußen bleiben.
Was ihn antreibt: Hier macht der Electrified GV70 keine halben Sachen. Gleich zwei starke Elektromotoren holt er sich an Bord, einer treibt die Vorder-, der andere die Hinterräder an, dies mit jeweils 160 kW/218 PS. Die gemeinschaftlich erzeugte Power addiert sich auf satte 320 kW/436 PS. Und das ist noch nicht alles. Per Boost-Taste auf dem Lenkrad werden kurzfristig weitere 40 kW/54 PS aktiviert, zehn Sekunden lang drückt der Genesis somit eine Systemleistung von 360 kW/490 PS und ein Drehmoment von 700 Newtonmetern auf die Straße. Die Kapazität des Lithium-Ionen-Akkus beträgt 77,4 kWh.
Wie er sich fährt: Man kann natürlich trefflich darüber streiten, ob es so eine Riesenpackung an Leistung tatsächlich braucht, zuvörderst die Boost-Funktion, die das ohnehin nicht schlappe 0-100-km/h-Sprintvermögen auf sportwagenschnelle 4,2 Sekunden steigert und die klischeehafte Formulierung des In-die-Sitze-Gepresstwerdens provoziert. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 235 km/h wird der vernunftbegabte E-Mobilist kaum jemals ausreizen, schon allein, weil er dann reichweitentechnisch nicht mehr allzu viel hat von seinem Stark-Stromer.
Davon einmal abgesehen, vermittelt der Genesis das geschmeidig-gelassene Fahrgefühl eines souveränen Gleiters und einen Komfort, der immer innerhalb der Wohlfühlgrenzen bleibt. Die elektronische Fahrwerksregelung scannt mithilfe von Kameras die Straße und passt die Adaptiv-Dämpfer automatisch an. Das gelingt gut, holprige Strecken werden sanft überblendet, nur besonders grobe Gemeinheiten bringen den GV70 kurzzeitig aus der Contenance. Dank des Allradantriebs sind Traktionsprobleme kein Thema, zudem findet das Fahrmodus-Trio (Eco, Normal, Sport) Ergänzung durch drei weitere E-Terrain-Programme namens Sand, Schnee und Schlamm.
Vorzüglich funktioniert der Adaptivtempomat, der den Führerschein außerhalb der Gefahrenzone hält, indem er Tempolimits automatisch übernimmt. Dem Reisekomfort außerdem zuträglich ist die Ruhe an Bord, für die eine aktive Fahrgeräuschunterdrückung als Bestandteil des Lexicon-Audiosystems (1170 Euro) sorgt.
Wie weit er kommt: 455 Kilometer mit einer Akkuladung, sagt Genesis. Aus Erfahrung ziehen wir davon gedanklich 100 Kilometer Praxis-Malus ab und sehen uns bestätigt. Bestenfalls 350 Kilometer sind im wirklichen Leben drin, für ein eigentlich so qualifiziertes Reisefahrzeug nicht unbedingt eine Empfehlung. Relativiert wird das aber an anderer Stelle, nämlich beim Laden. Wir kommen noch dazu.
Was er verbraucht: Der Koreaner bringt immerhin 2,3 Tonnen auf die Waage. Das in Bewegung zu halten, kostet Strom. Im Schnitt haben wir 24,6 kWh/100 km konsumiert, das ist nicht gerade wenig. Treibt man den Wagen mit Richtgeschwindigkeit 130 km/h über die Autobahn, muss mit Werten um die 30 kWh gerechnet werden.
Wie er lädt: Der Electrified GV70 hat etwas, das nur wenige Konkurrenten bieten: Wie die Konzern-Verwandtschaft Hyundai Ioniq 5, Kia EV6 und Genesis GV60 greift er auf die starke 800-Volt-Ladetechnik zurück, die in Kombination mit 350 kW Ladeleistung extraschnelles Turboladen ermöglicht. Das haben wir aber selbst am entsprechend ertüchtigten High-Power-Charger nicht erreicht, im besten Fall notierten wir 196 kW. Doch auch das hat gereicht, um den (vorkonditionierten) Akku innerhalb von 16 Minuten von 20 auf 80 Prozent Ladestand zu bringen. Das rückt auch die nicht eben üppige Reichweite in ein freundlicheres Licht: Man kann gut damit leben, öfter eine Ladepause einzulegen, solange die nicht allzu lange aufhält.
Mehr Zeit als Schnelllader lässt sich der Genesis an der 11-kW-Wallbox, aus der er dreiphasig Wechselstrom bezieht. Laden von zehn auf 80 Prozent Batterieladestand nimmt sieben Stunden und 20 Minuten in Anspruch.
Eine intelligente Laderoutenplanung, die sinnvolle Ladestopps entlang der vorgewählten Strecke vorschlägt, bietet der Genesis nicht. Zwar warnt er davor, dass das angepeilte Ziel nicht mit dem aktuellen Akkustand zu erreichen ist. Die passenden Ladestationen muss man aber selbst aus einer Liste auswählen und dann als Wegpunkte setzen. Immerhin helfen dabei verschiedene Filter, die beispielsweise nur HPC-Charger eines bestimmten Anbieters aussuchen oder ausschließlich Ladepunkte nennen, die „entlang der Strecke“ liegen.
Wenn das Navi mit einer Stecker-Station gefüttert wird, sorgt es dafür, dass das Fahrzeug mit vorkonditioniertem Akku ankommt. Das bedeutet: Er weist jene Wohlfühltemperatur auf, die er für eine optimale Ladeleistung braucht.
Erwähnen wollen wir noch dreierlei: Erstens, dass die Rekuperation über Lenkradwippen und mithilfe des i-Pedal-Modus erfolgt. Zweitens, dass der Electrified GV70 die Disziplin „Vehicle to Load“ (V2L) beherrscht, er kann also selbst zum Stromspender werden, beispielsweise für Laptops oder E-Bikes. Und drittens, dass die Ladebuchse hinterm Kühlergrill versteckt sitzt. Das ist nicht nur ästhetisch befriedigend, sondern beim Heranfahren an die Ladestation auch recht praktisch, weil es Rangiermanöver erspart.
Was er bietet: Unter anderem vielfach elektrisch verstellbare Ledersitze mit Wolleinsätzen, 14-Zoll-Infotainment mit Navi und Smartphone-Anschluss (nicht kabellos), Rückfahrkamera, induktives Smartphone-Laden, Zweizonen-Klimaautomatik, elektronische Fahrwerksregelung, Adaptivtempomat mit Verkehrszeichenerkennung, aktiven Totwinkelassistent sowie Spurhalte- und Spurfolgeassistent.
Das ist viel, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich noch etliches in diversen Optionspaketen verbirgt. Sitz- und Lenkradheizung sollten bei einem so teuren Auto eigentlich Basics sein, gehören aber – wie auch die Dreizonen-Klimaautomatik – zum Komfortpaket (1390 Euro). Wer auf Head-up-Display, 12,3-Zoll-Kombiinstrument, 360-Grad-Kamera, Einparkautomatik, Adaptivscheinwerfer, den Totwinkelassistenten mit Monitoranzeige oder den Autobahnassistenten II für teilautonomes Überholen Wert legt, muss das Technikpaket für 4200 Euro ordern. Und das Panoramadach kostet 1700 Euro.
Was er kostet: Ab 67.300 Euro. Unser mit vielen Extras ausgestatteter Testwagen kam auf einen stolzen Gesamtpreis von 84.230 Euro.
Bislang setzte Genesis ausschließlich auf Direktvertrieb – online oder in jeweils einem Innenstadt-Studio in München und Frankfurt. Sogenannte General Personal Assistants (GPA) beraten nicht nur, sondern bringen das Fahrzeug auch zur Probefahrt vorbei. Nach erfolgtem Kauf wird der Wagen direkt an der Haustür ausgeliefert, für Reparaturen gibt es einen Hol- und Bringservice. Dabei soll es zwar bleiben, gleichzeitig will man sich aber nun doch auch Vertragshändler als Partner suchen.
Was wir meinen: Der luxuriöse Genesis Electrified GV70 mit seinem starken Elektroantrieb, dem hohen Fahrkomfort und der leistungsfähigen Ladetechnik ist ein elektrischer Reisewagen, wie man ihn sich nur wünschen kann. Zumindest fast: Etwas mehr Reichweite dürfte schon sein, dafür würde es weniger PS-Power auch tun. Und den Preis muss man sich erst einmal leisten können.
Datenblatt Genesis Electrified GV70
Antrieb: Je ein permanent erregter Synchron-Elektromotor an Vorder- und Hinterachse. Allradantrieb, Eingang-Reduktionsgetriebe.
Leistung: 320 kW/436 PS. Im Boost-Modus (zehn Sekunden) 360 kW/490 PS.
Max. Drehmoment: 700 Nm (Boost-Modus)
Batterietyp: Lithium-Ionen
Batteriekapazität: 77,4 kWh
Ladeanschluss: Typ 2, 3-phasig, bis 11 kW und CCS, bis 350 kW
Höchstgeschwindigkeit: 235 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 4,8 sec, im Boost-Modus 4,2 sec
Reichweite WLTP: 455 km
Normverbrauch WLTP: 19,2 kWh/100 km, mit 20-Zoll-Rädern 19,9 kWh/100 km
Testverbrauch: 24,6 kWh/100 km
CO2-Emission: 0 g/km
Energie-Effizienzklasse: A+++
Länge: 4,72 m
Breite: 2,00 m
Höhe: 1,63 m
Gepäckraum: 503 – 1678 l plus 25 l („Frunk“)
Leergewicht: 2310 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 2845 kg
Anhängelast: 750 kg ungebremst, 1800 kg gebremst
Versicherungs-Typklassen 21 (HP), 26 (TK), 29 (VK)
Preis: Ab 67.300 Euro
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