"Wie ferngesteuert"

Chemsex: Warum ein Nürnberger Sex nur noch mit harten Drogen haben kann

Lena Wölki

Johannes Alles

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Lukas Koschyk

10.3.2022, 05:55 Uhr
Chemsex ist längst auch in Nürnberg angekommen. 

© imago images/Addictive Stock Chemsex ist längst auch in Nürnberg angekommen. 

Kein Hunger, kein Durstgefühl, unbändige Lust, Crystal Meth in den Adern, Sex das ganze Wochenende: Die Welt von Adam kann eine sehr Exzessive sein. Adam ist Mitte 40, wirkt auf den ersten Blick relativ unscheinbar. Dass er sich regelmäßig mit einem Cocktail aus Chemie vollpumpt, um mehrere Tage Sex auf Drogen (Chemsex) zu haben, sieht man ihm nicht an. Chemsex ist vor allem in der Schwulenszene bekannt, längst aber auch in anderen Gesellschaftskreisen angekommen. Im Interview erzählt uns Adam, warum der Kick das beste der Welt sein kann - und er trotzdem mit viel Nachdruck davon abrät.

Adam, was ist Chemsex überhaupt?

Adam: Chemsex ist die Verbindung von Drogen und Sexualität. Das heißt man "tut sich etwas Gutes", nimmt also Drogen, um anschließend Sex zu haben.

Wie genau läuft so etwas ab? Wie können wir uns das vorstellen?

Adam: Man verabredet sich auf Portalen wie Grindr oder Romeo zu einem Date, nicht immer mit dem Vorwand zu Chemsex, aber oft ist es auch vorab schon klar. Ansonsten kommt am Anfang des Dates auch die Frage: "Bist du chems-friendly (abgekürzt "cf")? Bist du 420er?" Das sind so Kennwörter in der Szene. Dann trifft man sich mit einer Person, fährt vielleicht weg, manchmal kommen auch noch andere dazu und man konsumiert gemeinsam.


Das ganze Gespräch mit Adam können sie in unserem Podcast "heiß & innig" nachhören.


Welche Drogen nimmt man dafür?

Adam: Es gibt sehr viele Varianten von Chemsex. Die meisten Menschen haben einen Mischkonsum, da gibt es Chemie wie Crystal Meth, Badesalz, Amphetamine, 3-MMC, 4-MMC oder GBL (Liquid Ecstasy). Man verabreicht sich das entweder intravenös oder nasal. Bei den meisten geht das von Freitag bis Montag, manche fangen sogar am Donnerstag an. Um das durchzuhalten, braucht man Drogen. Die steigern zwar die Libido, aber nicht die Potenz, da macht der Penis auch schon mal schlapp. Also muss man sich teilweise noch helfen mit Viagra oder ähnlichen Mitteln.

Und warum tut man das?

Adam: Es gibt einen unheimlichen Kick, eine sexuelle Erfahrung, die man ohne diese Drogen nicht macht. Vor allem bei Crystal Meth erlebst du einen Impuls, der liegt bei einer Skala von 1-10 bei 15, du erlebst eine ultimative Sexualität und bist komplett willenlos.

Was empfindest du dabei?

Adam: Man ist dauerhaft in einer Phase der Sexualität. Alles was du erlebst, ist im Kopf und im Inneren drin. Die Sexualität erlebt man mehr oder weniger im Geiste, nicht mehr im Körper. Ich habe durch Chemsex eine Art der Transsexualität bei mir festgestellt, wusste nicht mehr ob ich Mann oder Frau bin, ein Zwischenmensch, nicht mehr zuzuordnen. Ich habe zum Beispiel auch meine weibliche Seite sehr ausgelebt.

Bist du glücklich damit?

Adam: Nein. Die Sexualität die ich erlebe, ist nicht normal, sie findet auf einer anderen Wellenlänge statt. Wenn ich mit meinem Ex-Mann Sex hatte, bei dem man sich geliebt hat, war das etwas anderes. Auf Drogen ist es nur ferngesteuert.

Wie fühlt man sich danach?

Adam: Zum Abschießen. Übermüdet, man hängt durch, der Endorphinspeicher ist leer. Ich brauche eine Woche zur Regeneration und zum Durchschlafen.

Sind die Menschen, die Chemsex praktizieren, drogensüchtig?

Adam: Ich spreche natürlich nur für mich, kann aber trotzdem sagen, dass die Mehrheit ein Drogenproblem hat. Die Sache ist, dass niemand darüber spricht. Viele machen sich etwas vor und sagen: "Ich mache das nur alle drei, vier Wochen." Wenn man aber so wie ich ohne das Zeug dauerhaft nicht leben kann, hat man ein Suchtproblem. Und dann gibt es noch einen Teil, der den Chemsex nur als Vorwand nimmt, um an Stoff zu kommen.

Warum hast du damit angefangen?

Adam: Ich bin nach der Trennung von meinem Ex-Mann da hineingerutscht, ich mache das jetzt seit fünf Jahren. Ich gebe aber auch offen zu, dass ich einfach neugierig war und es ausprobieren wollte. Ich habe vorher kaum Drogen genommen, vielleicht ein wenig gekifft oder Ecstasy genommen. Dann habe ich mir die Frage gestellt: "Was gibt es auf der Welt, das ich noch nicht ausprobiert habe?"

Wie hat sich deine Einstellung zum Sex seitdem verändert?

Adam: Ich vermisse die Zeit, in der ich einen Partner hatte und aus Leidenschaft und Liebe Sex praktiziert habe.

Könntest du noch genauso Sex haben wie vor deiner Chemsex-Zeit?

Adam: Ich wünschte es mir, deshalb mache ich eine Entzugstherapie. Wenn ich Sex höre, kann ich mir aber gar nicht mehr vorstellen, wie ich das ohne Hilfsmittel tun könnte. Das ist eine psychische Abhängigkeit, anders als bei Heroin oder ähnlichen Drogen, wo es körperlich ist.

Warum hast du dich entschlossen, eine Therapie zu machen?

Adam: Ich hatte vor drei Jahren bei enthemmtem Chemsex einen schweren Unfall, der sehr schlimm war. Davor habe ich schon zweimal erfolglos den Versuch gestartet, aufzuhören. Man bleibt aber darauf hängen. Wenn du das erste Mal etwas intravenös verabreicht bekommst, hast du ein so unheimliches Glücksgefühl und einen Endorphin-Ausstoß, das ist mit nichts zu vergleichen. Das Gefühl von Wärme und gleichzeitig high sein in Kombination mit Sex will man immer wieder, wieder und wieder.

Das klingt ja im ersten Moment nicht schlecht, was sind die Nachteile?

Adam: Es macht den Körper kaputt, die Zähne, es trocknet die Haut aus, macht die Seele kaputt. Man stumpft ab, wird aggressiv, hat zu viel Selbstvertrauen. Tut Dinge, die man sonst nicht machen würde. Die Drogen haben meine Persönlichkeit verändert. Man ist so enthemmt, dass man nicht auf sich achtet. HIV oder andere sexuell übertragbare Krankheiten werden ignoriert, existieren in dieser Welt gar nicht. Ich habe mir und meinem Umfeld viel angetan.

Würdest du anderen empfehlen, Chemsex zu praktizieren?

Adam: Probiert das lieber nicht aus. Wenn ich die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen, würde ich das nicht ausprobieren, nie wieder. Um sich kennenzulernen, braucht man keine Drogen. Sex mit Drogen kann besser sein als normaler Sex, die Begleitumstände sind es aber nicht wert.

Die AIDS-Hilfe Nürnberg sowie die mudra Nürnberg bieten Beratung, Information und Hilfe für Betroffene.


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