Buchhit aus Japan
Wie die Literatur zu Leben und Liebe führt: Satoshi Yagisawas zauberhafter Roman
15.8.2023, 05:55 UhrJinbocho ist ein Stadtteil in Tokyo, in dem sich ein Antiquariat an das andere reiht. In den Läden stapeln sich die Bücher bis zur Decke und auch auf den Gehsteigen vor den Läden stehen Tische mit Antiquarischem.
Mit seinen 170 Buchhandlungen, die sich auf wenige aneinander angrenzende Straßen verteilen, gibt es in Jinbocho die wohl größte Dichte an Antiquariaten weltweit. Bereits im 19. Jahrhundert zog es Literaten in das Viertel. Hierher verschlägt es die 25-jährige Takako, die Protagonistin des Romans "Die Tage in der Buchhandlung Morisaki", von Satoshi Yagisawa, nachdem sie nach einer enttäuschenden Liebesgeschichte in eine Lebenskrise geraten war.
Ihr etwas kauziger und unkonventioneller Onkel Satoru fängt sie hier auf und beschäftigt sie in seinem Laden, dem Antiquariat Morisaki, einem Spezialgeschäft für "Literatur der Frühmoderne", also für Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die junge Frau hatte sich davor nicht allzu viel für Bücher interessiert. Doch in dem Antiquariat ihres Onkels beginnt sie in die Welt der Literatur einzutauchen. Sie nimmt zunächst wahllos Bücher in die Hand und arbeitet sich vor zu den Klassikern der modernen japanischen Literatur.
Je mehr ihr Interesse für die Geschichten in den Romanen wächst, desto mehr interessiert sie sich auch wieder für ihre Umwelt. Sie taucht aus ihrer Erstarrung auf, nimmt wieder mehr am Leben teil.
"Was für eine herrliche Erfahrung! Ich ärgerte mich, dass ich nicht schon viel früher angefangen hatte zu lesen. Mein bisheriges Leben schien mir regelrecht verschwendet." Anstatt müde herumzuhängen oder sich in Tagträumen zu verlieren, liest die junge Frau nun Nagai Kafu, Tanizaki Junichiro, Akutagawa Ryunosuke.
Auf der Suche nach dem Platz im Leben
Nach und nach erweitert sie ihren Radius. Sie beginnt das Viertel zu erkunden. Neben dem Antiquariat ihres Onkels wird nun auch ein kleines Café zu einem Fixpunkt ihres Lebens. Gäste und Personal pflegen einen vertrauten Umgang miteinander und sprechen ziemlich offen über ihre Gefühle.
Hier begegnet man ruhigen, etwas schüchternen Menschen, die versuchen, ihren Platz im Leben zu finden. "Das Spazierengehen und Herumstreifen tat mir gut. Der Knoten in meiner Brust, unter dem ich so lange gelitten hatte, löste sich langsam, aber sicher auf. Je freier ich atmete, desto mehr Leute lernte ich kennen."
Onkel Satoru ist bei dem Heilungsprozess seiner Nichte ein guter Begleiter, der mit seiner Ruhe und Zugewandtheit für sie da ist und mit dessen Hilfe es der jungen Frau gelingt, wieder Zuversicht zu schöpfen. Einfach schön, die Heldin bei ihrem Weg zu sich und wieder ins Leben begleiten zu können und den humorvollen und lebensklugen Ratschlägen ihres Onkels zu lauschen!
Fast wäre das Idyll zu perfekt, gäbe es da nicht noch die tragische Geschichte um Onkel Satorus rätselhafte Ehefrau, deren Leben nicht so recht ins Bild passen möchte. Doch auch deren Geschichte spielt sich vor einer schönen Kulisse ab: diesmal in den Bergen und in einem besonderen Ryokan.
Urlaubsreise in eine unbekannte Welt
In Japan wurde "Die Tage in der Buchhandlung Morisaki", der erste Roman von Satoshi Yagisawa, zum großen Erfolg. Kein Wunder. Allein schon in das Umfeld mitgenommen zu werden, ist ein bisschen wie eine Urlaubsreise in eine unbekannte Welt.
Die Geschichte wird mit einem sanften, leicht melancholischen Ton erzählt, in einer schlichten Sprache; die gut zu den ruhigen, wenig auffälligen Protagonisten des Buches passt. Und natürlich auch zu dem lebendigen, aber unaufgeregten Viertel Jinbocho, diesem Mekka für Büchermenschen. Hier bringen Bücher und Begegnungen die junge Takako wieder zu sich und sodann im Leben voran. Eine gute Botschaft.
Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki. Insel Verlag, 189 Seiten, 18 Euro.