Diese Lesetipps werden Sie entspannen
Stress zwischen den Jahren? Unsere Buchtipps für Dezember 2023 helfen garantiert
13 Bilder, Text von Wolf-Ulrich EbersbergerNatürlich: Die Fans von Paul Auster werden auch diesen kleinen Altersroman mit Spannung lesen... "Baumgartner" hat ja auch wieder wunderbare Stellen. Aber als Ganzes ist die Geschichte um den mit Anfang 70 schon etwas senilen Professor Seymour T. Baumgartner, die gleich mit einer Art Rentnerslapstick und einem Sturz die Kellertreppe hinab beginnt, doch reichlich ungar. Im Mittelpunkt steht die Liebe zu seiner vor einem Jahrzehnt verstorbenen Ehefrau Anna Blume (danke, Kurt Schwitters!), stehen Trauer und Erinnerung, auch an ihre Gedichte. Dazu Austers eigene jüdische Familie, autobiografisch eingewoben, und am Ende ein Hoffnungszeichen - und neuer Klamauk! Philip Roths Wut-Senioren oder auch Nabokovs Professor "Pnin" waren einfach besser... (Rowohlt, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Rowohlt; Oleg Mityukhin/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Würde er heute, im Angesicht des Terrors ein Buch über die Liebe schreiben? Meir Shalev ist im April gestorben. Auch damals war in seiner Heimat Israel die Welt nicht in Ordnung, aber sie war weit von dem Albtraum entfernt, den sie seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober erlebt. "Erzähl's nicht deinem Bruder" ist Shalevs letzter Roman. Es geht um die Liebe – allumfassend. Zwischen Mann und Frau, Geschwistern, Eltern und Kindern, Freunden. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer. Itamar lebt in den USA, sein Bruder Boas in Israel. Die beiden sind sich trotz der Distanz sehr nah. Itamar ist von blendender Schönheit und leidet darunter. Er berichtet seinem Bruder von einer Nacht mit einer Fremden, erotisch, verstörend, intensiv. Es sind die Frauen, die in dieser Geschichte die Oberhand haben. Mit Klugheit und Witz lenken sie die Männer dahin, wo sie sie haben wollen... Eine letzte große Verbeugung vor dem vermeintlich schwachen Geschlecht. (Diogenes, 24 Euro) Gabi Eisenack © Diogenes; Marco Centenaro/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Um es einer vermeintlich verschworenen Obrigkeit zu zeigen, unterstützt das Volk einen offensichtlichen Betrüger. Glaubt ihm jede Lüge, ignoriert jeden Fakt. Zadie Smith ist für ihren neuesten Roman nicht wie sonst im modernen, quirligen London, sondern im 19. Jahrhundert. Und doch fühlt sich der Roman, der Populismus zeigt und die Frage stellt, wessen Wahrheit zählt, aktuell an. Anhand des realen Tichborne-Falls, bei dem ein einfacher Mann behauptete, der verlorene Sohn einer reichen Familie zu sein, erzählt "Betrug" die Geschichte einer zähen schottischen Haushälterin und eines stolzen Sklaven. Literatur, die sich leicht anfühlt und doch tief geht. (Kiepenheuer & Witsch, 26 Euro) Marlene Weyerer © Kiepenheuer & Witsch; Ezequiel Octaviano/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Sex in Zeiten des Klimawandels: Mit 74 liefert Philippe Djian ("Betty Blue") weiter Flottes. "Ein heißes Jahr" spielt 2030. Politische Proteste nehmen zu. Gevögelt wird digital. Und selbst bei Greg tut sich was, einem der letzten Porschefahrer dieser Welt. Der entdeckt mit der Sinnlichkeit einer Öko-Aktivistin plötzlich sein Gewissen. Oder ist es umgekehrt? Krude Story, krasse Dialoge, kurzweiliger Unterhaltungsstoff. (Diogenes, 24 Euro) Christian Mückl © Diogenes; Engin Akyurt/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Über viele Generationen hinweg überschattet eine rätselhafte Furcht vor Wasser das Leben einer indischen Familie: Mit seinem neuen Roman "Die Träumenden von Madras" gelingt dem indo-amerikanischen Arzt und Bestseller-Autor Abraham Verghese nicht nur eine von Empathie geprägte Familiensaga samt berührender Liebesgeschichte, sondern auch eine grandiose und hochinteressante Schilderung der politischen und sozialen Lage in Indien zwischen 1900 und 1977. Ein lesenswerter und informativer Schmöker mit viel Tiefgang! (Insel, 28 Euro) Anja Weigmann © Insel; Josch13/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Harriet, Oskar, Yana – alle drei sind einsam und doch miteinander verbunden. Der schwedische Autor Alex Schulman (seit "Die Überlebenden" auch bei uns erfolgreich) erzählt in seinem neuen Buch "Endstation Malma" von der Reise einer Familie. Sie sitzen alle in einem Zug, erinnern sich und sind auf der Suche nach den Ursachen für ihren Schmerz. Schulmans Roman ist berührend und geht tief. Er zeigt, dass Traumata über Generationen vererbt werden und dass Worte manchmal heilen könnten – so sie denn gesagt werden... (dtv, 24 Euro) Claudia Urbasek © dtv; Joe/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Kaffeehauskultur – war einmal. Vor dem Ersten Weltkrieg spielte sich das geistige Leben in Wien, Berlin oder München nicht zuhause im Kämmerchen, vielmehr öffentlich in Lokalen ab, in denen der Kaffee nur eine Beilage war zu den endlosen Diskussionen, Streitereien und Geistesblitzen der Intellektuellen. Sie versammelten sich in Zirkeln, hoben an kleinen Marmortischen die Welt aus den Angeln, ließen Affären lodern und ausdampfen, schrieben in Kritzelschriften Werke, die später Weltliteratur wurden. Dirk Liesemer zeichnet die Geschichte und Geschichten des "Café Größenwahn" nach, das es unter der snobistischen Bezeichnung gleich drei Mal gab: das Griensteidl an der Donau, das Stefanie an der Isar, das Café des Westens an der Spree. Launig und spöttisch tischt der Autor Anekdoten auf und erzählt von einer Zeit, in der die Moderne fast so nebenbei erfunden wurde... (Hoffmann und Campe, 25 Euro) Bernd Noack © Hoffmann & Campe; Kari Shea/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Einen Stein aufmerksam in der Hand halten, die Knospen am Baum entdecken, Wasser aus einer Quelle schöpfen: In einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist, versucht die Bestseller-Autorin Katherine May, in der Natur neue Kraftquellen zu erschließen und nicht nur die oberflächliche Erscheinung, sondern sämtliche Schichten der Existenz wahrzunehmen. Wer diese achtsame Suche nachvollziehen kann, wird in "Der Zauber der Welt" viele, manchmal auch selbstverständliche Ratschläge bekommen, aber vielleicht doch durch neue Ideen angeregt. Was der eine Leser begeistert aufgreifen wird, lehnt der nächste aber möglicherweise als esoterisch ab... (Insel, 22 Euro) Anja Weigmann © Insel; DaveMeier/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Irgendwann ist es Zeit für einen Ausbruch. Aus dem alten Leben hinein ins Ungewisse. Erwachsenwerden ist Abenteuer und nicht frei von Schmerzen. Das erfährt auch Eva Sichelschmidts "Transitmaus", die aus einer ländlichen Ecke des Ruhrgebiets nach Berlin zieht und dort verloren geht. Sie taumelt durch die Tage, mit wechselnden Partnern und einem Gemisch aus Alkohol und Drogen im Blut. Ihre Abstecher nach Hause katapultieren sie zurück in ihre Kindheit und zeigen ihr doch auf brutale Weise, dass es die alte Geborgenheit nicht mehr gibt. Ihr Vater ist dem Alkohol verfallen, die Freunde haben sich längst verabschiedet. Derweil ändert sich nicht nur die kleine, sondern auch die große Welt. Es ist das Jahr 1989, die Mauer fällt. Es dauert eine Weile, bis Sichelschmidt ihrer Geschichte Tiefe verleiht. Doch dann schafft sie eine große Intensität. Das immerwährende Abschiednehmenmüssen von Lebensabschnitten, Orten und Menschen hallt lange nach. (Rowohlt, 24 Euro) Gabi Eisenack © Rowohlt; 12138562/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Wer Norwegens führenden Thrillerfabrikanten Jo Nesbo vor allem mit seinem Outlaw-Ermittler Harry Hole verbindet, wird in "Das Nachthaus" sein dunkelblaues Wunder erleben. Ein finsteres Fantasy-Buch. Der dreizehnjährige Richard erlebt, wie eine Telefonzelle seinen besten Kumpel frisst. Die Polizei denkt natürlich, er habe ihn einfach in den Fluss geschubst. Doch die Lösung steckt im Wald, wo schreckliche Viecher vom Himmel fallen und ein gespenstisches Gebäude abschirmen. Zitate aus Horrorfilmen und Literatur en masse. Von Kafka bis zur Nacht der lebenden Toten. (Ullstein, 24,90) Christian Mückl © Ullstein; yoshitaka2/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
"Erfolg und breitere Anerkennung als Schriftsteller blieben Hohl versagt," heißt es knapp und schmerzlich in Wikipedia. Tatsächlich gehört der Schweizer Autor Ludwig Hohl (1904-1980) zu den weniggelesenen und unterschätzten Autoren des vergangenen Jahrhunderts. Immerhin seine trotzig-melancholischen, blitzgescheiten "Notizen", die er im Geiste seines Vorbildes Montaigne schrieb, erreichten breitere Leserschichten. Doch nicht nur Hohls Schaffen ist interessant, auch sein Leben, das sich zwischen Wahn und Wirklichkeit abspielte, von Alkohol durch- und unterspült. Eine Künstlerexistenz nach seinem Bilde und auch im Paris zwischen den Kriegen geistert durch die Novelle "Die seltsame Wendung": Existenzkampf, Abhängigkeit, versagte Anerkennung – in harter, unmissverständlicher Sprache erzählt Hohl hier tragisch von sich selber. (Suhrkamp, 22 Euro) Bernd Noack © Suhrkamp; edmondlafoto/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Wenn Lyriker die Versform verlassen, kommt oft geschliffene Prosa dabei heraus. So auch Durs Grünbeins zwischen Bericht und Roman pendelndes Buch "Der Komet", in dem er sich die Leben seiner Vorfahren hernimmt, um den Untergang der Stadt Dresden zu schildern. Porträtiert wird der Alltag der Gesichtslosen, die nach 1933 in das faschistische Regime hineinwachsen, ohne sich zunächst groß um die weitgreifenden Veränderungen im öffentlichen Leben zu sorgen. Grünbein schildert Idyllen unter den Nazis, die Figuren erscheinen seltsam unschuldig, das Elbflorenz glänzt in seiner historischen Schönheit. Doch es gibt keine Unschuld, auch das Hörensagen hätte schon gereicht, um zu merken, dass das Land auf eine Katastrophe zusteuert: Der Showdown, die totale Vernichtung der Stadt und der Menschen geht so, gnadenlos und sprachlich brillant beschrieben, unter die Haut. (Suhrkamp, 25 Euro) Bernd Noack © Suhrkamp; hat3m/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
In sich folgte der Kampf der RAF ja durchaus einer Logik. Wenn man von den Prämissen ausgeht, dass Kapitalismus zu Imperialismus führt, und dass beides nur mit Gewalt zu verändern ist, dann bleiben nicht viele Optionen. Stephanie Bart wagt in "Erzählung zur Sache" einen faszinierenden Blick in den Kopf der Terroristen, insbesondere in den von Gudrun Ensslin. Radikal subjektiv wird deren Geschichte erzählt, mit Fokus auf den Stammheim-Prozess, der einen großen Teil des Buchs ausmacht. Dabei wird auch klar, dass im Kampf gegen den Terror der Rechtsstaat ab und an auf der Strecke blieb. Man kann in Versuchung geraten, das kritische "Aber..." zu vergessen, das hinter der Begründung der fragwürdigen ideologischen Folgerungen und gewalttätigen Mittel stehen muss. Eine anspruchsvolle und faszinierende Lektüre. Bart gehörte dafür zurecht zu den Nominierten des Bayerischen Buchpreises 2023. (Secession, 28 Euro) Thomas Correll © Secession; Jana Schneider/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid