Der Liedermacher wird 85

"Mensch Gott!": Pünktlich zu seinem Geburtstag legt Wolf Biermann ein neues Buch vor

15.11.2021, 14:12 Uhr
Wolf Biermann bei seinem Auftritt 1976 in der Kölner Sporthalle. Nach dem Konzert wurde der unangepasste Dichter und Liedermacher aus der DDR ausgebürgert. 

© Wilhelm Bertram, dpa Wolf Biermann bei seinem Auftritt 1976 in der Kölner Sporthalle. Nach dem Konzert wurde der unangepasste Dichter und Liedermacher aus der DDR ausgebürgert. 

Schon Mutter Emma ist eine "strenggläubige Atheistin". Trotzdem lässt sie ihren kleinen Wolf christlich taufen. Damit der ein Dreivierteljahr nach der "Reichschristallnacht" mit seinem jüdischen, dazu noch im Gefängnis sitzenden Kommunistenvater nicht als "Mischling ersten Grades" gilt. Oma Meme singt während des Gottesdienstes so schief, dass Mutter sie in die Seite knufft, worauf Oma anfängt, zu lachen. Und als dann auch noch der kleine Wolf, als der Pfarrer ihn tauft, mit großen Augen fragt: "Onkel, warum machstu mich nass?", fängt auch noch die Mutter an loszuprusten und die Oma macht vor lauter Freude unter sich. So auf jeden Fall wird es später in der Familie kolportiert.

Glaubensbekenntnis eines Ungläubigen

Wolf Biermann erzählt die Episode in seinem gerade erschienenen Buch mit dem wunderbar sprechenden Titel "Mensch Gott!", mit dem sich der Dichter und Liedermacher zum 85. Geburtstag am 15. November selbst beschenkt.

Lange war Wolf Biermann überzeugter Kommunist, heute wundert er sich über Querdenker, die meinen, sie lebten in einer Diktatur.

Lange war Wolf Biermann überzeugter Kommunist, heute wundert er sich über Querdenker, die meinen, sie lebten in einer Diktatur. © Bernd von Jutrczenka, dpa

Der Band ist nichts weniger als das Glaubensbekenntnis eines Ungläubigen. Wobei das nicht ganz richtig ist. Glaubt Biermann zwar an keinen Gott, aber ganz dolle doch an sich und die Menschen. "Christen, Juden und Moslems wissen sicher, dass Gott den Menschen gemacht hat – aber ich glaube fest daran: Der Mensch macht sich selbst." Gottseidank! Als halber Jude und als halber Goj sei er in die Welt geraten, schreibt Biermann. Doch so "metzgermäßig in abgehangenen Schweinehälften" rechne er nicht. "Von wegen halb so, und halb so! Nicht weniger als ein ganzer Mensch will auch ich sein." Das ist ihm zweifelsohne gelungen.

Als die ersten 1953 schon von dort fliehen, geht Biermann, dessen Vater in Auschwitz von den Nazis ermordet worden ist, als Kommunistensohn aus Überzeugung in die DDR. Auf dem Internat in Gadebusch lernt er früh seine Lektion in der "schönen neuen Welt". Als die Schulkameraden der Jungen Gemeinde abschwören sollen und die FDJ-Sekretärin ein Mädchen zur Schnecke macht, die sich zu ihrem Glauben bekennt, steht Biermann auf und protestiert, dass das, was hier geschehe, mit Kommunismus nichts zu tun habe.

So wird er es von nun an immer tun. Nur sein inniger Glaube an die "heilige Kuh Kommunismus" lässt ihn seinen Streit mit den Bonzen der Partei und sein elf Jahre andauerndes Totalverbot durchhalten. Keine Bühne in der DDR darf er betreten. Und als er 1976 in Köln auftritt, wird er ausgebürgert. Der bekannteste Dissident der DDR wird in den Westen ausgesperrt.

"Kerl mit Herz, mit Hoden und Hirn"

Aufrecht steht er seinen Mann. Mit einem Holzschwert und sechs Saiten. "Will alles haben, alles geben." Davon zeugen die Lieder, die er singt. Ob es seine "Ermutigung" (1966) ist, die es bis ins Gesangbuch der protestantischen schwedischen Kirche geschafft hat. Die Zeilen "Ich möchte am liebsten weg sein/ Und bleibe am liebsten hier" aus seinem Lied "Und als wir ans Ufer kamen" (1976). Oder der Refrain von "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" (1991).

Alle diese an Minnesängern und Proleten geschulten Verse, versammelt der neue Band. So manche Zeile ist zu einem geflügelten Wort geworden. Martin Luther, dieser "Kerl mit Herz, mit Hoden und Hirn" war Biermann immer lieber als der "pfäffische" Eugen Drewermann, der verzeihen will, "was andere erlitten". Ja streitbar war er immer, aber ohne Geifer.

Mit 85 ist Wolf Biermann etwas ruhiger geworden. Er wundert sich über die Querdenker, die für ihn "weder Denker noch im guten Sinne quer" sind, oder über die, die behaupten, "Die Freiheit hier, Democracy sei Diktatur!", wie er in einem der jüngsten Texte von 2020 schreibt. Sein Utopia ist lange nicht mehr der Kommunismus, sondern Ehefrau Pamela. "Mein Gott ist halt ʼne Göttin: stark, schwach, sanft und wild/ Sie schuf mich, treu nach meinem eigenen Menschenbild".

Aber auch im Alter trägt er sein Kreuz immer noch lieber als dass er es sich von jemandem brechen lässt. Wenn er trotzdem mal Trost braucht, findet er ihn wie damals als sechs Stasispitzel vor seiner Tür in der Chausseestraße 131 lungerten, in der Musik von Bach, Bach, Bach. "Ich meine damit nicht die ganze bucklige Verwandtschaft im Stammbaum dieser Genies, ich meine nur den einen: den Alten. Ich gebe zu: Es gibt originellere Neigungen." Das aber ist Biermann piepegal.

Wolf Biermann: Mensch Gott! Bibliothek Suhrkamp, 192 Seiten, 22 Euro.

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