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Irre Selbsttäuschung mit der langsamsten Uhr des Planeten: Seit 75 Jahren ist es kurz vor Apokalypse
5.3.2022, 06:59 UhrDie Zeit anhalten zu wollen, ist ein sinnloses Unterfangen. Sie läuft unerbittlich weiter. Insofern entschied sich das „Bulletin of the Atomic Scientists“ für eine extrem ungeeignete Symbolik, als es erstmals 1947 vor der Gefahr eines drohenden Weltuntergangs durch einen Atomkrieg in Form einer „Doomsday Clock“ warnte.
Man stellte damals kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und dem beginnenden Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion die Uhr auf sieben Minuten vor 12 bzw. vor Mitternacht. Aber 75 Jahre später steht sie nun schon im dritten Jahr in Folge auf 100 Sekunden vor Mitternacht – und ist damit mit weitem Abstand die langsamste Uhr der Welt. Mit ihr würde es sogar die Deutsche Bahn schaffen, alle ihre Züge ohne Verspätung fahren zu lassen.
Das Problem an der ganzen Rhetorik rund um diese Weltuntergangs- bzw. Atomkriegsuhr besteht darin, dass der unheilschwangere Ausspruch „es ist fünf vor 12“ zwar große Gefahr und größten Handlungsdruck suggeriert, die Uhr ihre Zeiger aber seit jenem Dreivierteljahrhundert noch langsamer bewegt als jede Schnecke – und auch nur einmal zu jedem Jahresbeginn verstellt wird.
1991, nach dem Fall der Mauer, stand die Uhr sogar mal auf 17 Minuten vor Mitternacht. Und so nah wie die nun schon drei Jahre dauernden 100 Sekunden war der Zeiger der Apokalypse noch nie.
Dumm nur, dass die Einstellung der "Doomsday Clock" für 2022 vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und vor der Drohung des russischen Präsidenten mit der Aktivierung seiner Atomwaffen vorgenommen wurde. Seit das passiert ist, hat man das mulmige Gefühl, dass diese Uhr inzwischen deutlich nachgeht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verantwortlichen des „Bulletin of the Atomic Scientists“ seit ein paar Jahren die Verfehlung der Emissionsziele und die Gefahr einer globalen Klimakatastrophe in ihre Zeigerstellung einberechnen.
Damit hat sich die Uhr als Warninstrument endgültig erledigt. Einerseits verbreitet sie Fatalismus, andererseits ist der Zeigerstand „Mitternacht“ faktisch unmöglich, weil es dann nach der Logik dieser Uhr wirklich mit uns und der Welt vorbei wäre.
So erinnert der Blick auf die „Doomsday Clock“ kurioserweise an das Finale eines Actionfilms, in dem sich die letzten Sekunden, die dem Helden noch bleiben, um den ganz großen Sprengsatz zu entschärfen, plötzlich immer mehr dehnen und zu Minuten werden. Dafür gibt es dann wenigstens ein Happy End. Im wahren Leben läuft das leider auf eine fatale Selbsttäuschung hinaus. Denn eigentlich rennt uns die Zeit davon. Eine Heldin oder einen Helden, die uns in letzter Sekunde retten, kriegen wir nicht geliefert. Diesen Job müssen wir schon alle selbst übernehmen.
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