Das sollten Sie lesen
Gorilla Fritz und was schon Jane Austen gerne las: Unsere Buchtipps für den Juni!
10 Bilder 29.6.2022, 10:31 UhrWer Jane Austen liebt, wird - wie Jane Austen ja selbst - auch Maria Edgeworth lieben: eine der ersten großen britischen Romanautorinnen und eine Pionierin für weibliche Belange. Ihr Buch "Belinda" von 1801 über die gleichnamige junge, intelligente und herzensgute Frau, die nur eines nicht hat, nämlich einen Ehemann (die Familie wird langsam nervös!), liest sich auch nach zweihundert Jahren noch mit Vergnügen, dafür sorgt schon die neue Übersetzung von Gerlinde Völker. Wenn erst Netflix den Stoff entdeckt, werden aus den 600 gesellschaftssatirischen Seiten mehrere Staffeln! (Reclam, 28 Euro) Wolf Ebersberger © Reclam Verlag/Montage: Sabine Schmid
Biografie einer Affenlegende: Die Wissenschaftsjournalistin Jenny von Sperber hat sich mit dem Lebensweg von Gorilla Fritz beschäftigt, der 48 Jahre lang am Schmausenbuck lebte und zu einem der Stars in der Geschichte des Nürnberger Tiergartens avancierte. Sie hat dafür viele Wegbegleiter des charismatischen Affenchefs befragt und versucht, die frühen Jahre von Fritz zu rekonstruieren, der 1963 in Kamerun zur Welt kam und dann als Wildfang nach Deutschland verschifft wurde. Von Sperber ist nicht nur ein einfühlsames Porträt einer Tierpersönlichkeit gelungen, sondern sie zeichnet mit "Fritz, der Gorilla" (Hirzel, 20 Euro) auch nach, wie sich die Philosophie der Zootierhaltung im Lauf der Jahrzehnte wandelte. Marco Puschner © S. Hirzel Verlag/Montage: Sabine Schmid
Es ist immer ein Geschenk, wenn Schriftsteller darüber schreiben, wie sie schreiben. Kurz hebt sich der Schleier, kurz bekommt man eine Ahnung davon, wie Hand- und Kunstwerk zusammenhängen. Die Französin Leïla Slimani zeigt in "Der Duft der Blumen bei Nacht" dabei auch eine verletzliche Seite. Die Bestseller-Autorin klingt in ihrem Essay – für den Rahmen hat sie sich für eine Nacht in Venedig im Kunstmuseum Punta della Dogana einschließen lassen – ganz uneitel und gewohnt handfest. Man folgt ihren Betrachtungen zu zeitgenössischer Kunst, zu ihrer ersten Heimat Marokko, zur absoluten Einsamkeit beim Schreiben mit Genuss. (Luchterhand, 20 Euro) Isabel Lauer © Luchterhand Verlag/Montage: Sabine Schmid
Geboren ist der französische Autor und Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio ja in Nizza, das war 1940, und die meiste Zeit seiner Kindheit hat er dann erst mal in Afrika verbracht. Aber die Familie stammt aus der Bretagne (wie der Nachname noch verrät) und vor allem nach dem Krieg erlebte er viele Sommerferien dort. Davon erzählt sein neues Buch "Bretonisches Lied", das gleichwohl ohne Nostalgie auf die 50er Jahre, das alte Frankreich, auf Fischer und einfache Leute zurückblickt. Und bei Ebbe im Meeresboden Tintenfische oder Muscheln zu entdecken war allemal wunderbar... Weniger erbaulich ist seine Erinnerung an die Kriegsjahre auf dem Land, eine Zeit des Hungers und der Angst, für immer in der Kinderseele gespeichert. (Kiepenheuer & Witsch, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Verlag Kiepenheuer & Witsch/Montage: Sabine Schmid
Du bist fett, wohnst noch bei Mama, das Studium zieht sich in die Länge und dein Zahnfleisch blutet dauernd? Schlechte Karten... und schlechte Gene: Mama, mit der du auch manchmal das Bett teilst, ist schon ganz zahnlos. Der chilenische Autor Diego Zuniga, Jahrgang 1987, erzählt von einem 20-Jährigen in der Krise, aber wie er erzählt, ist so skurril wie raffiniert. Jedes der Kapitel im Tagebuchstil ist maximal eine Seite lang, links läuft die Geschichte der Familie, die von der Scheidung der Eltern geprägt ist, rechts die Handlung in der Gegenwart. Da ist Sohnemann mit dem Vater und dessen neuer Familie Richtung Peru unterwegs, wo die Zahnärzte und die Klamotten, die er bekommen soll (Mama wird sonst böse!), billiger sind. Wie der Wüstennebel "Camanchaca" sorgt auch die blutige Historie Chiles für Unschärfen und bewusste Leerstellen. Wo blieb Onkel Neno? (Berenberg, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Berenberg Verlag/Montage: Sabine Schmid
Unbeugsam und stark, so hat sie sich im Mai bei der Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises im Opernhaus gezeigt. Sayragul Sauytbay, eine chinesische Kasachin, macht die entsetzlichen Menschenrechtsverbrechen an muslimischen Minderheiten in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas öffentlich. In ihrem zweiten gemeinsam mit der deutschen Journalistin Alexandra Cavelius verfassten Buch "China-Protokolle" lässt sie ein Dutzend weiterer Zeugen der sogenannten Umerziehungslager zu Wort kommen. Harte Kost, nach deren Lektüre man die Notwendigkeit von Außenhandel mit China ein- für allemal infragestellen wird. Wie viele Aufforderungen an die Politik und Wirtschaft braucht es noch? (Europa-Verlag, 22 Euro) Isabel Lauer © Europa Verlag/Montage: Sabine Schmid
Hier ist einer, der schreiben und klug die Gewissheiten auf den Kopf stellen kann! Eckhart Nickels Roman "Spitzweg" (Piper Verlag, 22 Euro) ist wohl die positivste Überraschung des Frühjahrs. Klassisch gewunden erzählt, mit rotzfrechen Stolpersteinen in den Sätzen, urkomisch erdacht mit unbekümmerten Seitenhieben auf den völlig überdrehten Kunstmarkt und die Frage, ob es sich nun um Original oder Fälschung handelt oder überhaupt nur um einen Coup, bei dem jeder jeden über den Tisch zieht, ist das ein Buch, das mit so ziemlich allem aufräumt, das noch zum Wahren, Guten und Schönen gezählt wird. Die Flucht aus der banalen Realität hinein in den unergründlichen Kosmos der Bilder und der schönen vergangenen Zeiten wird für drei Schüler zum Lebens-Balanceakt am Rand des alltäglichen Abgrunds: "Folgt das Leben der Kunst, entsteht Kunstleben." Bernd Noack © Piper Verlag/Montage: Sabine Schmid
Noch besser als "Ein Bauch spaziert durch Venedig" wäre wohl "Ein Bauch gondelt durch Venedig" gewesen, denn spaziert ist Vincent Klink ja schon durch Paris, und bei seiner gemütlichen Gangart! Aber das schmälert nicht den Genuss dieses launigen Buches, das gleichermaßen als Reiseführer, Biografie und Ratgeber mit Rezepten funktioniert. Ungemein anregend schildert Klink nicht nur die Küche Venetiens, sondern auch die Kirchen und Museen der Serenissima. Er liebt ja zum Beispiel Giotto oder Tizian und weiß kulturell bestens bescheid. Das liest sich also auch daheim am Balkon mit Gewinn. (Rowohlt, 25 Euro) Wolf Ebersberger © Rowohlt Verlag/Montage: Sabine Schmid
1876 reiste der junge Friedrich Nietzsche nach Italien. Sein Ziel war Sorrent im Süden, wohin ihn (und eine kleine Entourage) die Mäzenin Malwida von Meysenburg eingeladen hatte. Sie wollte dort in der Abgeschiedenheit eines Dorfes eine kleine intellektuelle Kolonie gründen, nur dem Geist und der Natur verpflichtet. Diese an sich ereignislosen Monate beschreiben Andrea und Dirk Liesemer in ihrem Roman "Tage in Sorrent" (mare Verlag, 23 Euro) mit ruhigem Atem und in einer eleganten Sprache. Sie erzählen vom Leiden des Philosophen an Körper und Seele, von seinen Schrullen und wie aus dem Nichts sich formenden Geistesblitzen, aber auch von seinem Groll auf den am selben Ort weilenden und sich antisemitisch auslassenden Richard Wagner, auf den Nietzsche endlich eine wunderbar ausbalancierte Wut bekommt, die zum Bruch mit dem einst Vergötterten führt. Bernd Noack © mare Verlag/Montage: Sabine Schmid
Eine Fahrt von Nürnberg nach Paris kostet (mit Bahncard) 120 Euro, dieses Büchlein nur 22. Nimmt man Christine Sieberts "Paris und das Kino" (Henschel Verlag) aber zur Hand, kann man, ohne vor Ort zu sein, sehr schön die Seele dieser Stadt auf zwanzig cineastischen Spaziergängen erkunden. Paris war schon immer mehr als nur Kulisse in Klassikern wie "Außer Atem" oder in Traumgeschichten wie der "Fabelhaften Welt der Amelie". Ob in Grotesken wie "Zazie in der Metro" oder nostalgischen Sehnsuchtsstreifen wie "Midnight in Paris": die Stadt ist der Hauptdarsteller, ihre Atmosphäre die Grundierung der Filmgeschichten, die Siebert plaudernd und kenntnisreich Revue passieren lässt. Bernd Noack © Henschel Verlag/Montage: Sabine Schmid