Post-Punk aus Minsk
Eine Königskrone, die seltsam verschwand: Darum nennt sich diese weißrussische Band "Nürnberg"
1.7.2020, 06:00 UhrJury, Aleh – wie kommt man als Musiker aus Minsk dazu, seine Band Nürnberg zu nennen?
Geschichte ist ein Hobby von uns. Den Bandnamen haben wir gewählt, weil die Stadt Nürnberg einst eine Verbindung mit dem alten weißrussischen Staat – dem Großfürstentum Litauen – hatte. Um 1430 herum sollte der alte Großfürst Vytautas König werden und die volle Souveränität über sein Land erhalten. Die Krone für die große Zeremonie wurde in Nürnberg angefertigt. Es sollte ein wichtiger historischer Moment für ganz Europa werden, doch dazu kam es nie: Die Krone verschwand aus ungeklärten Gründen. Wahrscheinlich wurde sie auf dem Transport irgendwo in Polen gestohlen.
Wart ihr denn überhaupt schon mal in Nürnberg?
Wir waren noch nie in Nürnberg und haben keinerlei Beziehung zu der Stadt, aber wir sind absolut sicher, dass wir in naher Zukunft vorbeikommen werden. Ende April hätte es so weit sein sollen, da wären wir auf Tour gewesen und hätte auch eine Show bei Euch in Nürnberg gespielt, aber all das hat aus den bekannten Gründen leider nicht stattgefunden.
Wave und Post Punk, wie ihr ihn spielt, ist in den letzten Jahren weltweit wieder erstaunlich populär geworden. Was fasziniert euch an einem Sound, einem Style und einer Ästhetik, die in die frühen 1980er Jahre zurück reichen – einer Zeit, in der ihr noch gar nicht geboren wart?
Das lässt sich leicht erklären: Musik aus den 80er Jahren klingt heute immer noch modern, frisch und experimentell. Aber wir würden gar nicht sagen, dass wir Musik im Stil der 80er Jahre machen – wir machen moderne belarussische Musik, die auf Traditionen basiert. Diesen Sound haben wir uns nicht ausgesucht, er wurde uns von der Umgebung diktiert.
Wie das?
Die schwierige und weitgehend perspektivlose politische, soziale und wirtschaftliche Situation in Belarus ist ein guter Boden für all die dunkle, depressive Musik, die hier gerade überall aus dem Boden schießt. Einflüsse sind da aber auch die sowjetische Architektur und die sowjetische Lebensweise, die hier in Belarus noch immer konserviert werden.
Wie erging es euch in Minsk in den letzten Wochen und Monaten?
Die Situation mit Corona hier in Belarus ist schrecklich. Unsere Regierung hat die Gefahr des Virus völlig verharmlost und die Situation im Rest der Welt als "Massenpsychose" bezeichnet. Mit dem Ergebnis, dass es bei uns keinerlei Social Distancing gab. Es gab und gibt keinerlei Einschränkungen: die Menschen gehen immer noch ihrer Arbeit nach, alle Bars, Restaurants und Cafés haben geöffnet, es finden große Kulturveranstaltungen statt. Doch den offiziellen Statistiken kann man nicht glauben…
Wie ist es um die lokale Musikszene bei euch bestellt?
In der letzten Zeit erfreut sich schwarze Musik und speziell Post-Punk aus der belarussischen Szene weltweit immer größerer Beliebtheit. Die bekanntesten Bands sind Molchat Doma und Super Besse.
Als ich mir eure Texte angucken wollte, hat mein Übersetzungsprogramm sofort die Segel gestrichen …
Das wundert uns nicht: Alle Stücke auf unserem neuen Album sind in der lateinischen Version der belarussischen Sprache geschrieben.
Wow. Habt ihr nie darüber nachgedacht, in der Weltsprache Englisch zu singen?
Nein. Die belarussische Sprache ist die einzige Option, die wir derzeit in Betracht ziehen.
Euer neues Album "Paharda" wird von einem schicken Coverartwork geziert.
Das hat unser Freund Ansis Rožkalns von der Gruppe Plenērs aus Riga/Lettland gemacht – im Stil des Suprematismus, der vor 100 Jahren von Kasimir Malewitsch entwickelt wurde. Am Jahrestag der Gründung der UNOVIS-Schule wollten wir die Kontinuität der Generationen zwischen Malewitsch, Lisitski, Chodasewitsch und all den anderen wunderbaren Künstlern mit dem modernen Belarus zeigen. Deren Bilder waren sehr kühn für ihre Zeit. Ein Jahrhundert später können wir ihr Erbe nun neu überdenken.
Wie wird das werden, wenn die Gruppe Nürnberg eines Tages in Nürnberg auftreten wird?
Wir glauben, dass dies einer der wichtigsten Schritte in der Entwicklung unserer Band sein wird. Und wir hoffen, dass dies auch sehr bald passiert!
Jury (Gesang, Bass) und Aleh (Gitarre) leben und arbeiten in Minsk, der Hauptstadt von Belarus, dem größten Binnenstaat Europas, auch bekannt als Weißrussland. Die jungen Männer frönen dem düsterromantischen Pop-Entwurf: Wave und Post-Punk im Stil von Bands wie The Cure oder Indochine. Mit "Paharda" ("Verachtung") veröffentlicht das Duo Nürnberg dieser Tage ein neues Album.
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