Neues aus den Museen

Ein Fertighaus für Ausgebombte im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim

Markus Rodenberg

1.7.2024, 12:26 Uhr
Zwei Behelfsheime im Steinach a.d.Ens mit den Familien Winkler und Zucker, die hier wohnten.

© Privatbestand Anna Endreß Zwei Behelfsheime im Steinach a.d.Ens mit den Familien Winkler und Zucker, die hier wohnten.

Die Pferde der angrenzenden Weide schauten gelegentlich zum Fenster herein und mit ihnen unzählige Fliegen. Beim Anzünden einer Lampe hatte man Angst, die Holzhäuser abzufackeln, und wenn der benachbarte Bach Ens über die Ufer trat, erreichte man die Haustür nur noch über Stege. Unter diesen Umständen lebten mehrköpfige Familien auf 20 Quadratmetern. Und doch waren sie froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Und eigene vier Wände – das war für Kriegsbetroffene schon fast Luxus.

Behelfsheime entstanden ab September 1943 im Rahmen des Deutschen Wohnungshilfswerks (DWH). Sie waren der Versuch des nationalsozialistischen Regimes, Unterkünfte für Menschen zu schaffen, die Haus oder Wohnung bei den Luftangriffen verloren hatten. Das Programm war ambitioniert und wurde von einer beachtlichen, oft zynischen Propagandaoffensive begleitet. Tatsächlich entstanden zehntausende Behelfsheime im gesamten Reichsgebiet, doch das war angesichts der Wohnungsnot nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Das Behelfsheim aus Steinach a.d.Ens an seinem letzten Standort, dort wurde es als Gartenschuppen genutzt.

Das Behelfsheim aus Steinach a.d.Ens an seinem letzten Standort, dort wurde es als Gartenschuppen genutzt. © Markus Rodenberg

Bauen durfte jeder und mit allem, was verfügbar war. Von Anfang an wurde auch die serielle Vorfertigung der Behelfsheime gefördert. Der Standardtyp aus Holz und mit Pultdach wurde vom Volksmund „Ley-Bude“ genannt nach dem DWH-Leiter Robert Ley. Im westmittelfränkischen Steinach a. d. Ens standen zehn solcher Fertigbehelfsheime, die 1944 von einer Nürnberger Holzhandlung per Zug ausgeliefert worden waren. Sie sollten wohl in andere Ortschaften weiterverteilt werden, doch dazu kam es nie – mehrere Bauern aus dem Dorf stellten sie auf ihren Anwesen auf.

Zunächst kamen hier Ausgebombte unter, wie Familie Winkler aus Nürnberg. Ihre Mutter konnte sich das Behelfsheim bereits „sichern“, als es noch als Bausatz auf der Wiese lag. Auf die Ausgebombten folgten Flüchtlinge und Vertriebene wie die sudetendeutsche Familie Zucker. Zeitzeuginnen aus beiden Familien berichteten dem Museum ausführlich vom Leben in den Behelfsheimen und in Steinach, das zunächst vor allem ein Überleben war. Geschenkt wurde ihnen wenig, und doch war das Verhältnis zwischen Zugezogenen und Einheimischen vergleichsweise gut, bis heute werden Kontakte gepflegt.

Das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim ist auch ein Paradies für Hobbyfotografen auf der Suche nach schönen Motiven.

Das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim ist auch ein Paradies für Hobbyfotografen auf der Suche nach schönen Motiven. © Stefan Blank

Angesichts des geringen Wohnkomforts ist es kein Wunder, dass die kleinen Holzhäuser nur wenige Jahre bewohnt blieben. Manche wurden danach weiter genutzt: Familie Zucker baute in Steinach ein kleines Eigenheim und stellte das Behelfsheim als Abstellraum auf. Auch das im Museum wiederaufgebaute Behelfsheim diente bis zuletzt als Schuppen in einem Obstgarten außerhalb des Dorfes.

Dass es anders ging, beweist das Behelfsheim aus Ottenhofen, das bereits seit 2016 im Museum besucht werden kann. Als Massivbau bot es bessere Lebensbedingungen und blieb bis in die 1990er Jahre bewohnt. Das ist kein Einzelfall: Im Zuge eines Forschungsprojekts konnten zahlreiche Behelfsheime ausfindig gemacht werden, die noch existieren und sogar bewohnt sind, in den meisten Fällen waren sie freilich zu modernen Eigenheimen erweitert worden. Während das Ottenhofener Beispiel mit Hilfe einer ehemaligen Bewohnerin eingerichtet werden konnte, gibt es im Behelfsheim aus Steinach künftig eine Dauerausstellung zur Wohnungsnot der Kriegs- und Nachkriegszeit und ihren Folgen zu sehen.

https://freilandmuseum.de

Dieser Text ist in der Museumszeitung erschienen, einer Kooperation zwischen dem Verlag Nürnberger Presse und den Museen.

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