Spiegelfabrik: Ein Zuhause für alle Generationen

Luisa Degenhardt

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22.1.2020, 21:00 Uhr
Spiegelfabrik: Ein Zuhause für alle Generationen

© Hans-Joachim Winckler

Die Bohrmaschinen haben Ursula Bierschenk überzeugt. Bei der ersten Infoveranstaltung zum Bauprojekt Spiegelfabrik vor fünf Jahren sprach einer der Redner davon, dass jede Bohrmaschine im Lauf ihres Lebens nur vier Minuten in Betrieb ist, weil jeder Haushalt eine hat. "Wir können mit drei Bohrmaschinen auskommen statt mit 60", sagte Bierschenk nun beim Richtfest.

Ihre Aussage bringt den Grundgedanken des Wohnprojekts auf den Punkt: gemeinsam leben, miteinander teilen und sich unterstützen. Ursula Bierschenk, 63 Jahre alt, wird im Herbst – aller Voraussicht nach im September – in ihre 54 Quadratmeter große Bleibe im vierten Stock ziehen.

Wie berichtet, entstehen für insgesamt 17,5 Millionen Euro 57 Miet- und Eigentumswohnungen mit über 5000 Quadratmetern Wohnfläche – Platz für etwa 120 Menschen. Alle Eigentümer sind Teil der Genossenschaft, die über die Mieter für die 17 Genossenschaftsmietwohnungen entscheidet. Auch an Flüchtlinge, Studenten und eine Lebenshilfe-WG, bestehend aus Menschen mit geistiger Behinderung, wurde gedacht. Drei Appartements sind aktuell noch zu haben. "Es wird ein ganz buntes Völkchen werden", sagt Thomas Röbke, der im Vorstand der Baugenossenschaft für das Projekt ist.

Familie Fenneteau wird dazugehören. "Wir wohnen schon im Viertel und wollten hier in netter Nachbarschaft bleiben. Wir werden das gemeinsame Leben sicher schätzen", sagt Elke Fenneteau (44) und zeigt zum ersten Stock des Rohbaus, wo sie künftig mit ihrem Mann und den zwei Kindern zuhause sein wird.

Viele, die zum Richtfest gekommen sind, kennen sich bereits. Man umarmt sich, Eltern tragen ihre Kinder, in Schneeanzügen und Schlupfmützen, auf dem Arm, das Buffet haben die Genossenschaftsmitglieder gemeinsam bestückt. 30 Prozent der Wohnungen werden Familien mit Kindern belegen, ein weiteres Drittel steht Menschen über 55 Jahren zur Verfügung. Ein Blockheizkraftwerk sichert die Energieversorgung, Gemeinschaftsflächen fördern das Miteinander.

"Wuchtig und imposant"

Unter den Anwesenden ist auch OB Thomas Jung. Er findet große Worte für das Projekt, von dem er von Beginn an begeistert gewesen sei. Den Bau bezeichnet er zwar als "gewaltig, wuchtig und imposant", aber auch als "Vorzeigeprojekt im Wohnungsbau für die ganze Republik".

So sehe urbanes Bauen aus in einer Zeit, in der Flächen knapp sind. Die Stadt kaufte sich in das Vorhaben ein, indem sie das künftige Quartiersbüro und eine Wohnung für von Obdachlosigkeit bedrohte Familien finanzierte.

Martina Oertel wird mit ihrem Partner ebenfalls in den Neubau ziehen. Das Kind sei aus dem Haus, das Heim nun zu groß und nicht barrierefrei, so die 57-Jährige. Das wird sich bald ändern. Selbst mitbestimmen zu können, das mache diese Wohnform für sie zur richtigen.

Grünen-Stadträtin Waltraud Galaske ist mit ihren 70 Jahren wohl die älteste Bewohnerin. Bevor der alte Industriekomplex abgerissen wurde, hatte sie sich für eine Rückkehr von Stadeln in die Lange Straße entschieden. Hier war sie aufgewachsen. "Ich freue mich, wenn es fertig wird, es hat sich hinausgezögert", sagt sie.

In der Vergangenheit gab es Probleme: Die Kosten stiegen, es kam zu Pannen beim Abbruch der früheren Spiegelfabrik. Röbke zeigt sich zuversichtlich: "Er ist zwar sportlich, aber wir liegen im Zeitplan."

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