
Buchvorstellung
Raus aus der Heimat: Was ihre Trachten für Vetriebene bedeuten
"Von meiner Oma kenne ich auch so eine Erzählung!", sagt eine ältere Dame und zeigt auf ein Bild in einem Buch: Ein kleines Mädchen sitzt auf einem hölzernen Leiterwagen, um sie herum ist Hausrat aufgestapelt, Säcke mit Textilien, eine Truhe ragt aus einer Ecke hervor. Neben dem Wagen läuft ein Schaf.
Was sich so pittoresk anhört, war für viele Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg bittere Realität. Schon mit dem Näherrücken der Front im Osten ging es auf die Flucht, in den Jahren unmittelbar nach 1945 wurden dann Millionen aus ihrer Heimat vertrieben und machten sich auf eine lange Reise ins Ungewisse.
Vertreibung nach dem Krieg: Binnen einer Stunde mussten die Habseligkeiten gepackt sein
Auch die Familie des Großvaters von Katrin Weber gehört dazu. Er habe aber gewissermaßen noch Glück gehabt, berichtet die Leiterin der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken. "Er wurde als Soldat verwundet und kam schon vor der großen Vertreibungswelle nach Bayern. Seine Familie, besonders die Frauen, also Mutter, Schwestern, Tanten, waren dann aber unter denjenigen, die 1946 binnen einer Stunde ihre Habseligkeiten packen und aus Schlesien verschwinden mussten." Ein Mann im Publikum nickt, ganz genau so ist es bei seinen Vorfahren auch gewesen. Katrin Weber hatte zu der Thematik ins Kulturhaus des Bezirks in Stein eingeladen, dort stellte sie ihr Buch "Heimat im Gepäck – Vertriebene und ihre Trachten" vor. Der kleine Vortragssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Wie das Thema die Menschen bewegt, das hatte im vergangenen Jahr auch eine mehrmonatige Ausstellung im Historischen Museum in Cadolzburg gezeigt. Unter dem Titel "Was ist mein Daheim? Vertriebene in Cadolzburg" ging es um die Geschichte der Menschen, die nach 1945 in die Marktgemeinde kamen. Besucher waren auch eingeladen, in einem Dachboden voller Erinnerungsstücke in Kisten zu stöbern und Kommentare abzugeben.
Im Kulturhaus in Stein zeigt Katrin Weber Bilder auf einem großen Bildschirm; erklärt, wie sie zu dem Thema überhaupt kam. "Wie die Jungfrau zum Kind," lautet die augenzwinkernde Erklärung, denn eigentlich sollte das Thema "nur" auf dem Gredinger Trachtenmarkt 2020 als Motto behandelt werden, doch dann machte die Corona-Pandemie dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung.
"Ich dachte dann, na gut, damit die Arbeit nicht umsonst ist, mache ich halt eine Broschüre fürs nächste Jahr daraus," sagt Weber. Aus der Broschüre wurde ein Büchlein, aus dem Büchlein schließlich ein 336 Seiten starkes Buch, das im November 2023 im Münchner Volk-Verlag erschienen ist. Seither ist die Autorin mit ihrem Vortrag "on tour". Das Thema bewegt noch immer: Seien es die Nachkommen von Vertriebenen, die sich mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzen wollen, oder letzte Zeitzeugen, die oft froh sind, dass jemand ihre Lebensgeschichte noch hören möchte.
Über 70 Menschen aus Mittelfranken hat Weber befragt, die Ergebnisse flossen allesamt in ihr Buch ein. Ganz unterschiedlichen Schicksalen begegnet man hier. Geschichten von Unglück und Leid, aber auch von erfolgreichem Neuanfang, von einer Suche nach Identität, die oft genug im Nähen einer Tracht aus der alten Heimat gipfelte – denn mitgenommen konnte kaum etwas werden.

Neben Aufsätzen zu den verschiedenen Trachtenregionen enthält "Heimat im Gepäck" vor allem viele Fotos: alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Weber von Betroffenen bekommen hat, aber auch neue, ganzseitige Bilder. Menschen in Tracht, Vorder- und Rückseite, "damit man die Details und die Arbeit sehen kann, die in solchen Stücken stecken". Angefertigt hat die Aufnahmen der Fotograf Walther Appelt, selbst in der Trachtenszene kein Unbekannter.
Die Modelle sind authentisch: "Ich wollte richtige Trachtenträger aus allen Altersstufen, nicht lauter junge Katalogmodels in geliehener Tracht." Freiwillig kamen Menschen aus allen Ecken Mittelfrankens und einige sogar aus Hessen und Nordrhein-Westfalen ins Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim, um sich von Appelt in ihrem Ornat ablichten zu lassen. "Da sah man schon, mit wieviel Stolz manche ihre Tracht tragen", erzählt Weber.
Auch Bezirkstagspräsident Peter Daniel Forster lobte das Buchprojekt, das "wie kein anderes" geeignet sei, kulturelle Brücken zu bauen. Besonders beeindruckt hat ihn bei der Erstvorstellung des Buches im Haus der Heimat in Nürnberg eine ältere Dame aus Siebenbürgen, die gezielt die Seite mit ihrem Foto aufschlug und damit voller Freude vor der Kamera posierte. "So ein Buch ist für die Ewigkeit," resümierte Forster. "Das bleibt, selbst wenn es uns alle nicht mehr gibt."
Im Anschluss an den gut 50-minütigen Vortrag hatten die Zuhörer Gelegenheit zur Diskussion, bevor die Veranstaltung bei schlesischen Räucherwürstchen und Krautsalat aus Ratibor ausklang.
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