Erlanger Roboter Pepper hilft beim Verlieren
9.11.2020, 18:44 UhrWer schlecht sieht, kauft sich eine Brille. Wer schlecht hört, nutzt ein Hörgerät. "Der Mensch versucht seit jeher, mit vielfältigen Erfindungen seine Defizite auszugleichen", sagt Julian Seßner. "Die Digitalisierung eröffnet da noch viel mehr Möglichkeiten."
Seßner arbeitet am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik, kurz FAPS, an der Uni in Erlangen. Er und seine Kollegen überlegen, wie Elektronik und Mechanik, Sensoren und Programme das Leben erleichtern können. "Da schwingt natürlich auch immer die Frage mit: Was wollen die Menschen – und was lieber nicht?"
Aktuell arbeitet Seßner mit dem Roboter "Pepper" zusammen. Das etwa 1,20 Meter große Kerlchen hat Rollen statt Beine und einen Bildschirm auf der Brust. Pepper hilft Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung, Gefühle zu erkennen. "Den Kinder fällt es oft schwer, mit Menschen zu interagieren, sie haben Probleme, Emotionen zu erkennen und zu zeigen", erklärt der Wissenschaftler. Technik mögen sie aber gern und Pepper kommt gut an. "So ein humanoider Roboter kann eben auch nur sehr eingeschränkt Gefühle zeigen und deshalb überfordert er die Kinder nicht."
Bei einem menschlichen Gegenüber wären sie zu sehr damit beschäftigt, seine Gesichtszüge zu deuten. Bei Pepper können sie sich auf das Lernen konzentrieren. "Einige Übungen, die sonst Menschen betreuen, kann der Roboter übernehmen." Das Kind kann Situationen bewerten, die es auf dem Bildschirm sieht. Zum Beispiel, ob eine Person grimmig schaut oder sich freut. Pepper erkennt, ob es den Gesichtsausdruck richtig nachahmt.
Der Roboter kann sein Gegenüber auch absichtlich ein Spiel verlieren lassen und ihm danach beibringen, wie es mit dem Ärger umgeht. "Wir wollen keinen Therapeuten ersetzen, sondern ihm den Roboter als Hilfsmittel zur Seite stellen", sagt Seßner. Partner aus Wissenschaft und Industrie begleiten das Projekt, wie Fraunhofer, Astrum IT und die Humboldt-Universität in Berlin. Vor einem Jahr beim Digitalfestival, das diese Woche wieder in Nürnberg stattfindet, haben sie bereits ihre ersten Ansätze vorgestellt.
Ein Rucksack zeigt den Weg
Eine andere Anwendung soll sehbehinderte Menschen unterstützen. "Mit unserem Rucksack wollen wir blinden Menschen ermöglichen, selbstständig Joggen zu gehen", erklärt Seßner. Bislang brauchen die Sportler immer jemanden, der mitläuft. Mit der Begleitperson sind sie etwa über ein Gummiband verbunden oder bei einer Restsehfähigkeit läuft jemand mit knallgelbem T-Shirt vorneweg. Am Rucksack ist vorne eine 3D-Kamera angebracht. Sie berechnet aus Farbbildern und Tiefen-Informationen den Abstand zu ihrer Umgebung und den Verlauf des Weges.
"Auf kontrastreichen Rennbahnen ist das relativ einfach, aber wir wollen die Anwendung in den Alltag übertragen", erklärt Seßner. Es ist eben wesentlich schwieriger für die Software einen störenden Ast auf einem Waldweg zu erkennen oder einen Stein im Park. Auf einer Rennbahn kommt einem auch selten jemand entgegen. "Deshalb haben wir neuronale Netze trainiert, vielfältige Wege und Hindernisse zu erkennen." Sie erkennt bereits Steine, Wurzeln, aber eben auch Grasbüschel als Problem, über die ein Jogger wohl hinweg laufen könnte.
Die FAPS-Mitarbeiter forschen und testen, was möglich ist. Gerne würden sie den Rucksack Betroffenen zur Verfügung stellen. Doch es ist schwierig, eine Zulassung für ein Medizinprodukt zu bekommen. "Dafür muss die Anwendung absolut zuverlässig und sicher sein müsste." Bei einem Unfall käme es darauf an, wer haftet.
Einige Testpersonen haben den Rucksack trotzdem schon ausprobiert und würden sich freuen, wenn die Idee weiter ausgebaut wird. "Vor allem sehr sportliche Sehbehinderte, die etwa Marathon laufen, müssen sonst erst jemanden finden, der genauso gut ist wie sie und mit ihnen trainieren will", sagt Seßner. "Für sie wäre das eine große Erleichterung."
Techniker denken an die Ethik
Seßner hat Medizintechnik studiert, nun arbeitet er im Departement Maschinenbau. Die Informatik müssen er und seine Kollegen immer mitdenken. Aber auch die Ethik. "Als Techniker finde ich es natürlich faszinierend, was heute alles möglich ist, bis irgendwann hin zu Schnittstellen zwischen Computer und Gehirn", sagt er. "Aber wenn wir Forschungsprojekte beantragen, müssen wir uns immer auch mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen unserer Arbeit auseinandersetzen." Dafür besuchen sie beispielsweise Kurse mit Wissenschaftlern aus diesen Disziplinen und diskutieren mit Testpersonen über ihre Projekte.
Ihre neueste Idee dreht sich – natürlich – um Corona. "Wir versuchen die Labore und vor allem die Mitarbeiter zu unterstützen", sagt Seßner. Mit dabei sind Softwarefirmen und die Uniklinik Erlangen. Die Bayerische Forschungsstiftung fördert das Vorhaben. Roboter sollen helfen, die massenhaften Tests auszuwerten, denn immer mehr Labors stoßen aktuell an ihre Grenzen. Sie könnten die Proben etwa für die Analyse vorbereiten oder anschließend weiterverarbeiten. Dadurch könnte auch das Infektionsrisiko für das Personal gesenkt werden.
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