Im öffentlichen Raum

Diese Kunst hat das Zeug zum Aufreger - nicht nur in Nürnberg

15.10.2021, 07:20 Uhr
Auch Olaf Metzel ist in der Ausstellung vertreten, aber nicht mit seinem "Stuhlturm". 

© Michael Matejka, NNZ Auch Olaf Metzel ist in der Ausstellung vertreten, aber nicht mit seinem "Stuhlturm". 

Sie hat das Zeug zum Aufreger: Kunst im öffentlichen Raum. Das war vor 50 Jahren so, als sich Nürnberg mit dem "Symposium Urban" mutig eine Menge moderner Kunst auf seine Straßen und Plätze holte. Das ist noch heute so, wenn man an die Reaktionen auf das "Regenbogen-Präludium" an der Zeppelintribüne denkt. Zum Jubiläum des denkwürdigen Symposiums befasst sich eine Ausstellung in der Nürnberger Kunsthalle jetzt mit dem Thema, dem jedermann an jedem Tag in der Stadt begegnen kann.

Sie stehen am Hauptmarkt, am Plärrer oder am Ufer des Wöhrder Sees: Skulpturen, die 50 Jahre auf dem Buckel haben und 1971, zum damaligen Dürer-Jahr (des Meisters 500. Geburtstag), postiert wurden. Mehr als 700 Bewerbungen aus aller Welt gab es damals für die deutschlandweit ziemlich innovative Idee, moderne Skulpturen im großen Stil aufzustellen. Für 29 Werke fanden sich Geldgeber, die jeweils 25 000 Mark berappten. 26 davon stehen noch heute, manche an anderem Ort, aber sie sind noch da.

"Das Projekt war also ziemlich erfolgreich", sagt Susann Scholl. Sie hat die Geschichte des Symposiums zum 50-jährigen Jubiläum erstmals umfassend aufgearbeitet und benutzerfreundlich aufbereitet: Es gibt jetzt einen Stadtplan mit allen Werken, einen historischen Abriss in Stichpunkten, zwei Ausstellungsräume dazu in der Kunsthalle, Informationen zu den einzelnen Arbeiten, auch zu den drei zerstörten.

Zerstörter Finger

Die spektakulärste davon war sicherlich der "Finger" an der Zufahrtstraße zum Flughafen. Offiziell hieß dieses 14 Meter hohe Aufblas-Werk der Künstlergruppe Haus-Rucker-Co "Wegweiser". Es wurde bereits nach vier Wochen zerstört und wieder aufgestellt, fünf Monate später erneut zerstört und wieder aufgebaut. "Nach der dritten Attacke hat man resigniert", sagt Scholl.

Das Schöne und das Außergewöhnliche an der neuen Ausstellung in der Kunsthalle, die normalerweise internationale zeitgenössische Kunst präsentiert: Sie nimmt ein Stück lokaler Kunstgeschichte in den Blick. Eines, das weit über die Grenzen der Region, ja des Landes hinaus Relevanz hatte. Was – sieht man einmal vom "Stuhlturm" Olaf Metzels (der in der Ausstellung aber mit einer anderen Arbeit vertreten ist) oder dem "Regenbogen-Präludium" ab – nicht allzu oft vorkommt. Und sie spannt ausgehend von dem Jubiläum den zeitlichen Bogen über fünf Jahrzehnte, den geografischen von Nürnberg bis Bonn und Berlin, Oslo oder Kassel.

Reaktionen in den sozialen Medien

Die Präsentation reißt an, was Kunst im öffentlichen Raum alles sein kann: Großplastiken, die als repräsentative Kunst-am-Bau-Projekte entstanden sind; vielgestaltige Pavillons – zum Beispiel die von Olaf Nicolai auf der Insel Schütt in Nürnberg – , die als Spiel-, Kommunikations- oder Aufenthaltsorte in Städten genutzt werden können; oder Mitmach-Aktionen wie die berühmten "7000 Eichen" von Beuys bei der Documenta 1982. Die – so belegt nun ein Foto von Eiche und Basaltblock am Erfahrungsfeld der Sinne – reichte bis nach Nürnberg.

Kunst im öffentlichen Raum kann nur kurz aufblitzen wie Christos spektakuläre Reichstagsverhüllung oder auf Dauer angelegt sein. Sie entsteht im Auftrag von Institutionen oder aber rein aus Antrieb des Künstlers oder der Künstlergruppe – wie eben das "Regenbogen–Präludium". Neben einem Foto der in bunten Farben bemalten Zeppelin-Tribüne sind die Reaktionen auf die Aktion in den sozialen Medien in der Schau nachzulesen.

Keine Originale

Ein Problem, das dem Ausstellungsthema innewohnt: Die Originale können nicht präsentiert werden, nur Fotos, Filme, Modelle davon. Dabei hat Kuratorin Ellen Seifermann aber einen guten, abwechslungsreichen Mix gefunden. In ihren größten Kunsthallenraum hat sie zwei Parkbänke mit Tablets darauf gestellt. Darauf kann man das erste ausschließlich im Internet verankerte Denkmal für die Opfer des NS-Terrors sehen.

"Memory Loops" heißt diese Arbeit aus dem öffentlichen digitalen Raum. Michaela Meliàn hat sie vor zehn Jahren entwickelt – mit über 300 Berichten von Opfern und Zeitzeugen zum Anhören. Sie ist damit auch ein gutes Beispiel dafür, dass Kunst im öffentlichen Raum seit 1971 nicht nur ganz neue Wege geht, viel mehr Wert auf Partizipation und Kommunikation legt, sondern auch deutlich weiblicher geworden ist: Beim "Symposium Urbanum" war keine einzige Frau dabei. Die neuen Werke für Nürnberg, die im letzten Raum vorgestellt werden, stammen überwiegend von Künstlerinnen.

Kunsthalle Nürnberg, Lorenzer Str. 32: "In situ? Über Kunst im öffentlichen Raum", Eröffnung, Freitag, 15. Oktober, 19 Uhr; bis 23. Januar, Di., Do.-So. 10-18, Mi. 10-20 Uhr; ab 2.1. erst ab 11 Uhr geöffnet. Infos zum Programm: www. kunsthalle.nuernberg.de

Verwandte Themen


Keine Kommentare