Die Nürnberger Kongresshalle ist nur ein riesiges Treppenhaus

Hartmut Voigt

Lokalredaktion Nürnberg

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8.2.2022, 11:56 Uhr
Die Nürnberger Kongresshalle ist nur ein riesiges Treppenhaus

© Jürgen Walter

„Eigentlich ist es ja nur ein riesiges Treppenhaus“, meint Jürgen Gstader vom Liegenschaftsamt. Denn der Innenausbau fehlt, die überdimensionale Anlage blieb seit 1939 ein Torso. Der Objektmanager sieht hier seit 1985 nach dem Rechten. Als „Mann für alle Fälle“ ist er Ansprechpartner für fast 100 Mieter: städtische Dienststellen, Vereine oder Firmen.

Regelmäßig kontrolliert Gstader die endlosen, acht Meter hohen Flure. Einmal jährlich liest er den Stand von 100 Stromzählern und rund 50 Wasseruhren ab. „Na ja, alle Vierteljahr bricht eine Wasserleitung, da muss ich rasch reagieren“, erzählt der 57-Jährige. Insgesamt sei das NS-Relikt mit bis zu sieben Meter dicken Ziegelwänden aber in gutem Zustand.

Objektmanager Jürgen Gstader kontrolliert regelmäßig die endlosen Flure und Räume.

Objektmanager Jürgen Gstader kontrolliert regelmäßig die endlosen Flure und Räume. © Matejka

Eine Heizung gibt es nur für 2000 der 51.000 Quadratmeter, die vermietet werden können. Überall Nachtspeicheröfen einzubauen, wäre unbezahlbar. Mit 38.000 Quadratmetern sind 75 Prozent vergeben, stellt der städtische Mitarbeiter zufrieden fest.

Eigentlich kann man sich in dem überdimensionalen Hufeisen nicht verlaufen, meint Objektmanager Gstader. Doch wer in den einsamen Gängen unterwegs ist, verliert zwischendrin doch leicht die Orientierung. Für die Öffentlichkeit ist das Gebäude nicht zugänglich, dicke Türen riegeln das Baumonument ab.

Bei nächtlichen Stippvisiten war der städtische Beschäftigte allerdings erstaunt, wer sich alles im Innenhof (aber nicht in den Räumen des halbrunden Baus) herumtrieb: Liebespaare, Fassadenkletterer, Geocacher auf Schatzsuche und Obdachlose.

Ein Sicherheitsdienst soll nun ungebetene Gäste fernhalten. Der Hof wurde zum leeren „Denkort“ für das Dokumentationszentrum deklariert. Früher standen auf der riesigen Fläche beschlagnahmte und abgeschleppte Fahrzeuge. Jetzt sprießt dort nur mehr ein schütterer Rasen, Gebüsch und kleine Bäume, die regelmäßig gerodet werden.

Melanie Langbein untersucht im Depot des Nürnberger Archäologievereins ein mittelalterliches Skelett.

Melanie Langbein untersucht im Depot des Nürnberger Archäologievereins ein mittelalterliches Skelett. © Sippel

Archäologin Melanie Langbein setzt Knochen eines mittelalterlichen Skeletts zusammen. Kalt ist es in dem kahlen, unwirtlichen Raum nicht: „Im Sommer angenehm kühl, im Winter beheizt. Mehr brauchen wir nicht“, meint die Wissenschaftlerin.

Der Nürnberger Archäologieverein hat hier zwei Lager- und Arbeitsräume. Was im Stadtgebiet an Tonscherben, Knochen, Feuersteinen oder Holzpfählen bei Bauarbeiten gesichert wird, kann hier bearbeitet und dokumentiert werden. In den Regalen stapeln sich Kisten mit archäologischen Funden. Hier liegt Arbeit für die nächsten Generationen von Altertums-Experten. Montags finden sich bis zu zehn Gleichgesinnte ein, um Scherben zu mittelalterlichen Krügen oder Gläsern zu formen.

Jürgen Zeh vom Museum Industriekultur hütet die zahllosen Trophäen der Sportsammlung — wie zum Beispiel die 650 glänzenden Pokale.

Jürgen Zeh vom Museum Industriekultur hütet die zahllosen Trophäen der Sportsammlung — wie zum Beispiel die 650 glänzenden Pokale. © Weigert

Jürgen Zeh verwaltet hier ebenfalls eine umfangreiche Sammlung. Der Mitarbeiter des Museums Industriekultur ordnet die Belege der Sportgeschichte: Speere, ein Faltboot, ein Formel-1-Motor, ein Fackelstab der Olympiade 1972 in München, Bälle, Medaillen, die Torwartmütze von FCN-Legende Heiner Stuhlfauth und andere Kostbarkeiten.

In seiner „Schatzkammer“ funkeln über 650 Pokale. Auf Anfrage öffnet er nämlich das spektakuläre Lager („ein geordnetes Chaos“) für Schulklassen, Vereine, aber auch für private Gruppen. Beim Hinausgehen zählt er aber jedes Mal sicherheitshalber genau nach, ob nicht ein Gast abhandengekommen ist.

Zu wenig Platz

Beim Zählen der Besucher hätte Florian Dierl, neuer Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, viel tun: Über 230.000 Gäste informieren sich pro Jahr über Ursachen, Zusammenhänge und Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft — an einem authentischen Ort. Geplant war Denkstätte und Museum aber lediglich für halb so viele Besucher. Dementsprechend eng geht es zu, über Erweiterungen wird schon lange nachgedacht. Auch die 15 Wissenschaftler, Techniker, Verwaltungsfachleute und Sicherheitskräfte haben zu wenig Platz.

Doch Dierl, seit wenigen Monaten im Amt, muss sich erst einmal einen Überblick über den laufenden Betrieb verschaffen. Von der Arbeit nebst hochkarätigen Sonderausstellungen ist der Historiker sehr beeindruckt.

Beeindruckend ist auch die Erfolgsgeschichte der Nürnberger Symphoniker: Unter dem Label „Colloseum“ haben sie Filmmusik für Hollywood eingespielt — „Quo vadis“ 1953 und „Ben Hur“ 1959. Auch mit dem musikalischen Oscar, dem Grammy Award, schmückt sich das Orchester. In der Kongresshalle arbeiten die Musiker seit über fünf Jahrzehnten. Der große Umbau 2006/7 mit Probesaal und Technikräumen ließ praktisch kein Wunsch mehr offen.

Dass der brutal-wuchtige Monumentalbau gelegentlich auch zum Träumen verführt, ist eigentlich in Widerspruch in sich. Doch im mit Efeu bewachsenen Seneradenhof entführen die Klänge des Orchesters in eine andere Welt. „Für uns sind der Hof und die neuen Räume hervorragend, wir sind sehr zufrieden“, sagt Werner Meyer, zweiter Vorstand des Trägervereins der Nürnberger Symphoniker. Über einen Umzug denkt keiner nach.

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