DIY-Tattooing - lustiges Hobby oder gefährlicher Trend?
16.9.2022, 20:28 UhrTattoos sind cool - warum nicht mal selbst ausprobieren?
Keine Frage: Tattoos sind beliebt. Ungefähr 20 Prozent der Deutschen haben mindestens ein Tattoo, unter den 20- bis 29-Jährigen sind es sogar fast 50 Prozent. Kein Wunder also, dass viele Menschen das auch mal selber ausprobieren wollen.
Zwar gibt es keinen allgemein anerkannten Ausbildungsweg, dennoch ist Tätowieren eine Kunst für sich, kein Hobby, das man einfach mal so versuchen kann. Denn, wie die meisten tätowierten Personen vermutlich schon von ihren Eltern gehört haben: Tattoos sind für immer.
Sticht man zu tief, können unschöne Narben entstehen - sticht man nicht tief genug, hält die Farbe nicht in der Haut und das Ergebnis ist ein blasses, verwaschenes Tattoo. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Risiken wie Entzündungen bis hin zu schweren Erkrankungen wie Hepatitis, Tetanus oder HIV. So kann sich das Traum-Tattoo schnell in einen infektiösen Alptraum verwandeln.
Besonders gefährlich wird es, wenn Tattoo-Neulinge keine ausreichenden Hygiene-Maßnahmen treffen, wie beispielsweise Handschuhe zu tragen, sie regelmäßig zu wechseln oder auch die Hände und den Arbeitsplatz zu desinfizieren.
How (not) to tattoo yourself
Im Internet findet man viele günstige Angebote für Einsteiger-Tattoo-Kits, teils für unter 100 €. Das günstigste Set gibt es schon für 50 €. In der Beschreibung steht "Profi-Tattoo-Set".
Aber Achtung: Diese sind teilweise nicht für den Einsatz an menschlicher Haut geeignet und sogar potenziell gefährlich. So sind die Farben oft nicht zertifiziert, Verbrauchsmaterial wie Tattoo-Nadeln nicht steril verpackt und die Tattoo-Maschine so schlecht eingestellt, dass die Nadeln in der Maschine wackeln. Damit eine gerade Linie zu ziehen - unmöglich.
Ergänzt werden diese Billig-Sets von YouTube-Videos mit Titeln wie "How to tattoo yourself" - Tutorialvideos, die in wenigen Minuten das gesamte Tattoo-Handwerk erklären. Vollkommen klar, dass diese kurzen Sequenzen nicht die mehrjährige Ausbildung und Erfahrung von Tätowierer:innen ersetzen könne. Oft werden in diesen Videos aber auch unvollständige und falsche Informationen verbreitet, beispielsweise über Material, Aufbau und Hygiene.
Tattoos, aber mit Stil
Besonders beliebt bei Hobby-Lockdown-Tätowierer:innen: Stick and Poke. Dafür braucht man nicht viel, lediglich Tattoo-Nadeln und Farbe. Der Reiz dabei ist das Unperfekte, das stört die Nachwuchs-Tätowierer:innen nicht, schließlich wird der sogenannte "Ignorant"-Style immer beliebter, der sich vom tätowierten Realismus vollkommen verabschiedet. Böse Zungen behaupten, Tattoos in diesem Stil sähen aus, wie von Kleinkindern gezeichnet. Beliebte Motive sind beispielsweise Milchtüten, Kleiderbügel, Topfpflanzen, Einkaufswägen, Tic-Tac-Toe, oder auch das berühmte Haus vom Nikolaus. Der Ignorant Style, dessen Look auch oft als "trashig", "edgy" oder auch "artsy" beschrieben wird, kennt keine Regeln - hier ist alles erlaubt.
Das sagen Nürnberger Tattoo-Profis zum Trend
Wenig überraschend: Professionelle Tätowierer:innen sind nicht unbedingt begeistert von dem Trend. Wir haben mit den Tätowierer:innen Alina Sorg und Reen Rio aus Nürnberg über ihre Meinung zum DIY-Tattooing-Trend gesprochen.
"Tätowieren ist eines der ältesten Handwerke mit ganz viel Geschichte und Tradition. Menschen erforschen und verändern ihren Körper.", sagt Tätowierer Reen Rio aus Nürnberg. Auch er selbst hat so angefangen und erst sich selbst zuhause tätowiert, später Freund:innen. "Ich finde es einerseits gut, dass es beim Tätowieren so geringe Einstiegshürden gibt. Es ist schön, dass es da nicht so wirklich Regeln gibt, beispielsweise, welchen Stil man tätowieren möchte. Das hat ja auch was mit Punk und einem rebellischen Akt zu tun.", so Reen. Andererseits sieht Reen auch sehr kritisch, dass es kaum Aufklärung über Material und Hygiene gibt. Hier wird es richtig gefährlich: "Als Tattoo Artists arbeiten wir unter der Haut anderer Menschen. Das ist ein schwerer Eingriff, im schlimmsten Fall Körperverletzung - vor allem, wenn die Tattoos unter schlechten Bedingungen gestochen werden und es in der Folge zu Entzündungen kommt". Die Grenze sei erreicht, sobald eine zweite Person im Spiel ist: "Die Leute können sich ja selbst verunstalten, wie sie wollen, das ist ihre eigene Verantwortung."
"Auch ich habe bei mir zuhause mit dem Tätowieren angefangen", so auch Alina Sorg, Tätowiererin im Studio "Rabenschwarz Tattoo". Den Unterschied mache aber die Haltung zum Tätowieren: "Manche fangen damit zuhause an, haben aber vor, es professioneller zu machen, holen sich von Anfang an Hilfe und geben sich Mühe, alles richtig zu machen". Einfach so drauf los zu tätowieren, gehe nicht: "Manche Leute machen das dann auf dem Teppich oder auf dem Sofa, am besten noch ohne Handschuhe. Das geht nicht, damit gefährdet man auch andere Leute."
Mittlerweile sehe man, gerade auf TikTok, immer mehr junge Leute, die betrunken in die Kamera grölen, dass sie sich jetzt gegenseitig tätowieren. Gleichzeitig zeigen aber auch immer Menschen auf TikTok-Videos von ihren neuen, entzündeten, eiternden Tattoos und fragen "Ist das normal so?". Solche Videos sind seit den Corona-Lockdowns deutlich häufiger geworden.
Das Risiko, dass es zu einer Entzündung kommt, ist zuhause besonders hoch. "Die Menschen leben ja auch dort", so Alina. "Für eine Entzündung reicht es schon, wenn beispielsweise eine Fliege auf ein Papier fliegt, auf dem man dann die Maschine ablegt.", führt sie weiter aus. Die Gefahren lauern in der heimischen Wohnung überall: Auch Haare, beispielsweise wenn man Haustiere hat, sind ein Risikofaktor. Um eine Entzündung zu provozieren, kann schon ein einzelnes Staubkorn reichen. "Das geht dann zwar vielleicht ein oder zwei Mal gut, beim dritten Mal hat man dann aber eine fette Entzündung, im schlimmsten Fall kann es hier sogar zu einer lebensgefährlichen Sepsis kommen", warnt Alina.
Außerdem sei es besonders wichtig, das Tätowieren unter Anleitung von erfahrenen Tattoo Artists zu lernen: "Manchmal braucht man einfach jemanden, der einen darauf aufmerksam macht, dass man jetzt die Handschuhe wechseln muss. Zum Beispiel, wenn man sich beispielsweise nur an die Hose fasst, das sind so alltägliche Ticks, die man sonst gar nicht mitbekommt."
Von den Billig-Sets hält sie nichts: "Selbst wenn Du Dir Mühe gibst, damit kannst Du nicht richtig tätowieren", so Alina. Auch Reen lacht über die Billig-Angebote, die teils offensichtliche Fälschungen renommierter Maschinen-Hersteller sind: "Eigentlich müsste ich mir spaßeshalber mal so ein Set kaufen, um mir das anzuschauen" - selbstverständlich nicht mit der Absicht, jemals damit zu tätowieren. Professionelle Tattoo-Maschinen kosten 400€ aufwärts, minderwertige Maschinen sind nicht für den Einsatz an Menschen geeignet. Doch auch bei den Farben steckt der Teufel im Detail: "Da gibt es Angebote mit Farben, die gar nicht für den Menschen geeignet sind. Das steht dann irgendwo im Kleingedruckten, damit sich die Hersteller rausreden können, aber für Menschen sind solche Farben teils hochgiftig."
Wenn man ernsthaft anfangen möchte, zu tätowieren, ist es natürlich das Beste, in einem renommierten Studio nach einem Ausbildungsplatz zu fragen. Das Problem: Es gibt nicht die eine Ausbildung als Tätowierer:in, außerdem nehmen viele Studios keine Auszubildenden an. Reens Tipp: Zu Profis gehen und nach Tipps fragen. Hier, so Reen, ist es wichtig, sich bei den richtigen Quellen zu informieren, nicht durch irgendwelche YouTube-Videos, sondern bei Profis, denen man auch beim Stechen vertraut.
Wenn Du gespannt auf die Arbeiten von Alina und Reen bist, schau doch mal auf Instagram vorbei!
Das sagt unser Autor Jannik zum DIY-Tattooing
Ich muss beichten: Ich habe mich selbst und auch Freund:innen schon tätowiert. War es eine kluge Entscheidung? Naja.
Glücklicherweise sind alle Tattoos gut abgeheilt und sehen recht gut aus - zumindest dafür, dass es sich um ziemlich trashige Motive handelte.
Ich habe selber mehrere Tattoos von tollen Künstler:innen auf der Haut, teils in professionellen Studios, teils bei Tätowierer:innen zuhause gestochen. Gerade deshalb war es für mich immer besonders wichtig, einen gewissen hygienischen Standard zu erreichen. Dafür habe ich mit mehreren befreundeten Tätowierer:innen gesprochen, wie ich das am besten anstelle. Aber: Diesen Standard zu erreichen, geht ins Geld. Es braucht zum Tätowieren eben doch ein bisschen mehr, als nur eine Nadel und ein bisschen schwarze Farbe.
Bei allen Vorkehrungen, die ich immer getroffen habe: Den Hygiene-Standard eines professionellen Tattoo-Studios habe ich dabei rückblickend trotzdem nie erreicht.
Würde ich es wieder tun? Ich weiß es nicht. Einerseits hat mir das Tätowieren großen Spaß gemacht und die ersten Motive sahen auch gar nicht mal so schlimm aus. Andererseits habe ich in den letzten Monaten gelernt: Tätowieren ist eben doch kein Hobby, das man einfach mal so nebenbei betreiben kann - es ist ein Beruf, zu dem auch ganz viel Handwerk gehört, wenn man sich selbst und andere nicht in Gefahr bringen will.
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