Die Sache mit den Tattoo-Farben
12.2.2022, 12:30 UhrGrundsätzlich, was geht hier eigentlich gerade ab?
Eine Agentur der EU, die sog. ECHA (European Chemical Agency) hat im Zuge einer 2020 verabschiedeten EU-Verordnung verschiedene Stoffe, die in Tattoo-Farben enthalten sind, auf den Prüfstand gestellt. In dieser REACH-Verordnung (REACH = Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) werden Chemikalien beschränkt, die „zum Beispiel […] Krebs oder genetische Mutationen verursachen, fortpflanzungsgefährdende Chemikalien sowie Hautallergene und Reizstoffe“, so die ECHA. Darunter fallen unter anderem auch viele gängige Tattoo-Farben, bei denen meist die wissenschaftliche Studien-Lage zu undurchsichtig ist, um zu entwarnen, aber auch um eine reale Gefahr beweisen zu können. Paul Fris, Tätowierer aus Nürnberg, bemängelt die unzureichende Langzeitstudien-Lage, da es „keine feste[n] Beweise [gibt], dass diese Stoffe in Tattoo-Farben der Grund für [seltene Komplikationen] sind und deshalb ist es für mich unverständlich, warum die Farben so einfach verboten wurde.“ Er vertraue auf Expert:innen, die die Studienlage und die REACH-Verordnung genauso kritisieren und fühlt sich von der Politik ein Stück weit im Stich gelassen: „Mir gibt das das Gefühl, dass sie sich alles erlauben können, aber Hauptsache man kann sich jeden Tag mit Alkohol/Zigaretten und anderen legalen Drogen [die] Birne zuknallen…“ Er differenziert aber auch klar und stellt fest, dass es auch gefährliche Orte und Farben gibt, bei denen die Gesundheit der Menschen nicht an oberster Stelle steht. So sollte man sich seiner Meinung nach „nicht im Keller tätowieren lassen mit [einem] Tattoo Set von wish.com.“
Nach dieser Verordnung galt bis Anfang 2022 eine Übergangsfrist, aber ab dem 4. Januar diesen Jahres ist es verboten mit den nicht mehr REACH-konformen Farben zu tätowieren. Frank Cullmann kritisierte die mediale Berichterstattung rund um das Thema und erklärte momentan gäbe es „einige Hersteller und weitgehend alle Farben. Zumindest haben [sie] alles bekommen was [sie] für [ihre] tägliche Arbeit benötig[t]en.“ Außerdem geht er davon aus, dass es „bestimmt in den nächsten Wochen noch mehr [REACH-konforme Farben] geben [wird], sodass wieder uneingeschränkt alles möglich ist.“ Auch Paul Fris stellt klar: „Es gibt verschiedene Tattoo-Reach-Farben-Alternativen, die ebenfalls sehr hochwertig und langanhaltend sind. […] Ich persönlich habe mir nur schwarze Farbe bestellt, weil ich wenig farbige Tattoos steche. Und einen Grund gibt es auch noch: Ich möchte nicht die Farben meiner Mitbewerber:innen vor der Nase hamstern, obwohl ich sie wenig benutzte. Ich konnte ohne Probleme Reach-konforme Farben bestellen.“
Heißt das also, die Presse hat wieder einmal viel Wirbel um Nichts gemacht?
Jein. Die Branche konnte sich anscheinend, die letzten zwei Jahre, einigermaßen gut auf die REACH-Verschärfung einstellen. Lokal unterschiedlich klagten aber auch einige Tätowierer:innen über viel zu teure oder ständig ausverkaufte Tattoo-Farbsets. Außerdem steht die einschneidendste Verschärfung erst noch aus. Ab Januar 2023 sollen die beiden Pigmente „Blue 15:3“ und „Green 7“ auch unter die REACH-Verordnung fallen. Diese beiden Pigmente sind nicht nur bei Tattoos, sondern auch in der Kosmetikbranche sehr wichtig und flächendeckend (no pun intended) im Einsatz. Die beiden Pigmente werden „auch für viele unserer Farben verwendet“, so Cullmann. Außerdem sieht er: „da […] aktuell wieder die Hersteller [in der Verantwortung] eben rechtzeitig zu reagieren.“
Natürlich ist Alles noch nicht absehbar, Frank Cullmann schaut aber auch ein Stück weit positiv in die Zukunft: „Ich gehe schon fest davon aus, dass die Hersteller da reagieren… Entweder sie finden andere Möglichkeiten oder das Verbot wird abgewandt. [Ein] bisschen Zeit ist ja noch und es ist ja ein enormer Markt betroffen! Da geht´s nicht nur um Tattoo, [s]ondern auch [um] Kosmetik…und das europaweit.“ Auch Paul Fris macht deutlich, wie persönlich und wichtig Tattoos vielen Menschen sind: „Tätowierungen sind ein sehr persönliches Thema. Viele Menschen sehen sie als Kunstform an und empfinden große Freude daran, sich tätowieren zu lassen.“ Weiter sagt er: „Die Welt der Tattoos ist so bunt wie das Leben selbst. Jeder hat seine eigenen Vorlieben und Geschmäcker, was Tattoos angeht. Manche bevorzugen Realismus, andere wiederum wünschen sich kunterbunte Motive. Ich selbst tätowiere generell am liebsten Blackwork - dennoch gibt es immer wieder Kunden, die sich Farbtattoos wünschen.“
Laut einer Statista-Umfrage aus dem Jahr 2021 haben 17 Prozent der knapp 5.000 Befragten mindestens ein Tattoo und weitere 8 Prozent hätten gerne eines in der Zukunft. In den Altersgruppen von 18 bis 24 und von 25 bis 34 Jahren sieht das Ganze noch viel drastischer aus. Bei den 18 bis 24-Jährigen haben 16 Prozent ein oder mehrere Tattoos und 14 Prozent planen, in Zukunft eines stechen zu lassen. Am drastischsten sieht es bei den Teilnehmenden zwischen 25 und 34 Jahren aus: Hier sind sogar 26 Prozent ein- oder mehrfach tätowiert und weitere 14 Prozent wollen das noch nachholen.
Wir sehen also, dass Tattoos ein sehr wichtiges und persönliches Thema bei jungen Menschen sein können. Die Einschränkungen, die in einem knappen Jahr in Kraft treten werden, könnten dann nicht nur die freie persönliche Entfaltung vieler Menschen beschneiden, sondern gefährdet auch die gesamte Tattoo-Branche und damit unzählige Künstler:innen in ganz Europa.
Es gibt aber immer noch Hoffnung für eine Petition, die der österreichische Branchensprecher der Tätowirer:innen, Erich Mähnert am Europäischen Parlament eingereicht hat und die über 177.000 Unterstützer:innen mitunterzeichnet haben.
Falls Du jetzt Lust bekommen hast, Dich tätowieren zu lassen findest du hier Inspiration
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