Deep Talk im Duo: Ist Rasieren unfeministisch?

9.11.2021, 12:06 Uhr
Deep Talk im Duo: Ist Rasieren unfeministisch?

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Andrea:

Hey Anna, heute morgen war es wieder voll stressig - zum Glück pfeif ich inzwischen auf rasierte Beine - auch, wenn es mich selbst stört. Ob glatt oder haarig, interessiert doch im Winter eh niemanden. Oder was meinst Du?

Anna:

Ja stimmt. Und das hat ja auch niemanden zu interessieren :D Hab mir das Rasieren inzwischen auch abgewöhnt. Im Winter sowieso schon lang.


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Andrea:

Ja, aber irgendwie leben wir doch immer noch in einer Welt, in der Frauen nur als hot oder sexy gelten, wenn sie glatte Beine haben. Männerdiktat. :/

Anna:

So sagt man. Finde aber nicht, dass es eine Frau oder weiblich gelesene Person weniger attraktiv macht, sich die Beinhaare wachsen zu lassen. Ich finde es ist eigentlich auch ein ganz nices Gefühl, die Haare lang wachsen zu lassen und im Sommer zu fühlen, wie der Wind da durchweht. Mal ganz abgesehen davon, dass es nicht unbedingt der einzige Sinn und Anspruch für Frauen ist, als hot oder sexy zu gelten... Ich kann und darf auch mal nicht hot sein und das trotzdem genießen. Oder mich nur für mich selbst hot fühlen. Das ist doch der Kern, meine Existenz, mein Wert, sollte nicht von anderen Menschen abhängen.

Andrea:

Mmmh, ich muss mich ehrlich gesagt noch dran gewöhnen, Haare auf den Beinen zu tragen und finde es für mich persönlich irgendwie alles andere als ästhetisch. Dieses Diktat des glatt rasierten Beines hat auch mich befallen. Obwohl ich weiß: ist völliger Käse. Prinzipiell müssen wir aufhören, uns für unsere Körper zu schämen - und das inkludiert ja auch haarige Beine. Mann, geht mir diese perfekte Kulisse von Welt auf die Nerven. Warum sind wir als mündige und stolze Frauen nur so beeinflusst davon, was die Welt, die Männer, die Gesellschaft von uns denkt? Ich denke aber, wir können für uns nur einstehen, wenn wir uns von solchen Banalitäten befreien. Stell Dir vor, Du bist Astronautin und bist im All damit beschäftigt, Dir die Beine zu rasieren. :/

Anna:

Ich glaube aber auch nicht, dass es uns stark oder frei macht, die Haare an den Beinen wachsen zu lassen. Eigentlich glaube ich noch nicht mal, dass das nötig ist. Oder besonders wichtig. Bringen die paar Härchen echt die Revolution? Wenn du dich mit rasierten Beinen hotter und selbstbewusster fühlst - so what? Ehrlich gesagt, mich juckt es relativ wenig, wer die Beine rasiert oder nicht. Ob behaart oder nicht, das hält uns nicht davon ab stolz, frei und empowernd zu sein.

Andrea:

Ja, da bin ich absolut Deiner Meinung. Aber trotzdem hängen wir in solch merkwürdigen Überlegungen fest. Und meinen, dass es uns Aufschwung verleiht, wenn die Beine glatt sind - auch ich. Alice Schwarzer würde uns da bestimmt am liebsten auf die Finger klopfen. Aber: Es geht ja nicht nur um die Beine, sondern auch um die Intimzone. Und wenn wir die rasieren, was suggerieren wir zum Beispiel den Männern dann? Dass wir so jung und unverbraucht sind? Absolut, finde ich.

Anna:

Stimmt, das hat echt einen fragwürdigen Touch... Manchmal hab ich aber auch dass Gefühl, dass sich die Debatte da jetzt wieder nur darum dreht, Frauen zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Ihr müsst euch rasieren, ihr sollt euch nicht rasieren. Schon ein bisschen ironisch. Es wird für Freiheit argumentiert - mit einem Verbot in die andere Richtung. Und ich finde, das ist eigentlich der Punkt, den wir in der ganzen Rasier-Diskussion überwinden müssen!

Andrea:

Absolut! Body Shaming ist so altbacken - wir Frauen selbst jagen uns diese Gedanken ein - also Frauen im Allgemeinen. Und warum? Weil: Letztlich dienen wir doch in den Augen der Männer und einem Großteil der Gesellschaft immer noch als Entertainmentprodukt und nicht als gleichberechtigte Personen. Schöne Beine können keine Haare entstellen. Und einen schönen Menschen auch nicht. Wir sind Professorinnen, Medizinerinnen, Lebensretterinnen und in Vollzeit eierlegende Wollmilchsäue. Was ist es nur, dass wir wegen Haaren immer noch so ne Krise gemeinhin kriegen - mich eingeschlossen?

Anna:
Right, Männer haben absolut keinen Anspruch darauf, die Existenz von Frauen zu bewerten. Und das gilt in alle Richtungen: Wenn ich mich rasiere, weil das den Beautystandards entspricht, ist das unfeministisch? Okay. Wenn ich mich dann aus Prinzip nicht rasiere, um die Norm zu durchbrechen - dann handle ich trotzdem innerhalb des Systems. Nur halt dagegen. Genau gegen diese Beautystandards. Dann spiele ich aber immer noch nach den Regeln. Es geht darum, dieses Prinzip zu durchbrechen. Allein unrasierte Frauen machen aus einer patriarchalen Welt lange noch keine feministische. Leider!

Andrea:

Außerdem sollten doch letztlich eh alle Grenzen aufgebrochen sein, Frauen dürfen (mit Haaren an den Beinen) männlich sein, Männer dürfen ihre weibliche Seite ausleben. Wieso also kratzen wir uns dann - vor allem die Frauen selbst - noch so oft daran auf? Die Übermacht, die da auf Frauen drückt, ist doch rein männlicher Natur. Und die versuchen doch nur, ihr Patriarchat zu retten. Fast so wie im 17. Jahrhundert, als sie, auch hochrangige Philosophen und Aufklärer, noch dachten, dass Frauen wahnsinnig sind, weil in einem "schönen Körper" kein gesunder Geist leben kann. Und der Schmarrn hat sich auch über Jahrhunderte gehalten.

Anna:

Finde es schwierig, Frauen selbst dafür die Schuld zu geben. Es ist ein Problem, dass sich weiblich gelesene Personen dafür erklären müssen, warum sie sich nicht rasieren - oder warum sie es schon tun. Aber das Problem ist nicht, dass sie sich rasieren oder halt nicht. Sondern dass versucht wird, daraus eine feministische Position abzuleiten - aber schön brav im Bezugsrahmen der patriarchalen Beautystandards.

Und wie sich so Schmarrn hält? Zum Beispiel, in dem man solche "Thesen" wieder und wieder wiederholt - wenn auch nur um sich drüber lustig zu machen. Im Gedächtnis bleibt's trotzdem.

Andrea:

Dennoch: Ich finde rasierte Beine bei Frauen und auch rasierte Achseln echt ästhetischer. Auch, wenn mir jetzt viele Feminist:innen am liebsten watschen wollen. Ein weibliches Bein sieht einfach schöner aus, wenn es keine Stoppeln oder lange dunkle Haare trägt. Und ich gebe auch zu: Ich fühle mich immer ein wenig unwohl, wenn ich den Rasierer nicht zur Hand genommen habe. Und irgendwie auch unweiblich - das juckt die Feministin in mir schon, dass ich in dieser Denke verharre. Ich finde, die Comiczeichnerin Liv Strömquist drückt es befreiend und auch revolutionär aus, wenn sie sagt, dass Schminken kein Zeichen von Unterdrückung ist. Sie dreht den Blickwinkel anders und sagte neulich in einem Interview: "Gefallen an der eigenen Schönheit zu finden und es zu genießen, den Körper zu gestalten, kann man auch als Gegensatz zu den heutigen Idealen verstehen."


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