Hohe Bußgelder, harte Konsequenzen
Gefährliches Spiel mit der Zukunft: Warum verweigern Hunderte Schüler in Franken Coronatests?
6.2.2022, 12:35 UhrDie Antworten kommen handschriftlich. Geschwungene Schrift, ordentlich nummeriert, schwarze Tinte auf kariertem Papier. Auf zwei DIN-A4-Seiten erklären zwei Eltern aus Bayern unserer Redaktion, warum sie ihr Kind nicht mehr in den Unterricht schicken. "Unser Sohn will keinen Test machen, um in die Schule zu dürfen", schreiben sie. "Und wir als Eltern hinterfragen, welche physischen und psychischen Auswirkungen die mittlerweile dauerhaften Maßnahmen haben können." Drei mal in der Woche kommt ein Privatlehrer, um Stoff nachzuholen, die Schule liefert Unterrichtsmaterial. Ihr Achtjähriger, sagen die Eltern, komme klar. "Man wächst in seine Situation hinein."
Mutmaßlich Hunderte Eltern in Bayern halten ihre Kinder vom Unterricht fern. Sie verweigern die Tests, die im Freistaat nötig sind, um die Schule besuchen zu dürfen. Eine Umfrage unserer Redaktion unter den Behörden in Franken ergab, dass es in jedem einzelnen Landkreis Fälle gibt. Fast überall läuft eine zweistellige Anzahl an Verfahren. Es geht um hohe Bußgelder, häufig um Ideologie - und die Zukunft von Kindern.
Bayern verfolgt Testverweigerer konsequent
Zahlen, wie viele Testverweigerer es in Bayern tatsächlich gibt, existieren nicht. Das Kultusministerium erfasst lediglich, wie viele Schüler den Unterricht wegen ärztlicher Atteste, Beurlaubung oder fehlender Corona-Abstriche nicht besuchen. Mitte Januar lag die Quote bei 0,18 Prozent. Die Testverweigerer werden dabei aber nicht gesondert ausgewiesen - und auch die konkrete Anzahl der Schüler kann das Ministerium nicht nennen. "Nicht alle Schulen melden an uns", erklärt ein Sprecher. "Bei insgesamt 1,6 Millionen Schülern würde das das Bild völlig verzerren."
Eine Zeit lang war es Eltern freigestellt, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken oder ihnen das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus zu hoch ist. Seit einigen Monaten können Eltern nicht mehr individuell darüber entscheiden, wie gefährlich der Präsenzunterricht in Pandemiezeiten ist. Testverweigerer sind seitdem pauschal Schulschwänzer. Das habe geholfen, erklärt der Ministeriumssprecher. Im Sommer lag die Quote derer, die nicht im Klassenzimmer saßen, noch bei etwas mehr als einem Prozent. "Der Anteil ist deutlich gesunken."
Die Folgen für die, die trotzdem verweigern, sind hart. Prüfungen, die nur in Präsenz gemacht werden können, werden mit der Note sechs bewertet. Vielen Schülern droht ein Bruch im Lebenslauf, sie können nicht vorrücken, bleiben sitzen. Vor allem aber ist die Verletzung der Schulpflicht eine Ordnungswidrigkeit, bei der es hohe Bußgelder hagelt. Bis zu 1000 Euro sind möglich. Pro Erziehungsberechtigtem.
Hohe Bußgelder - und trotzdem keine Einsicht
Das schreckt viele Eltern ganz offensichtlich aber nicht ab. Allein im Landkreis Ansbach laufen derzeit 112 Bußgeldverfahren wegen Test- und Maskenverweigerung. "In den allermeisten Fällen werden die Anzeigen von den Schulen erstattet", erklärt ein Sprecher. Bislang habe man 47 Bescheide erlassen, beim Rest laufe die Anhörung der Eltern noch. Bei der Höhe des Bußgeldes spielt die Anzahl der Fehltage die größte Rolle. Der Landkreis hat seit Anfang November Strafen in Höhe von rund 8000 Euro verhängt.
Das Bild gleicht sich in ganz Franken. Im Landkreis Forchheim laufen Verfahren gegen 30 Schüler aus 27 Haushalten, im Nürnberger Land sind es 20, im Fürther Umland 34. Etwas mehr Fälle gibt es in der Stadt Erlangen. Dort geht es um 94 Bußgeldbescheide, insgesamt sind 18 Familien betroffen. Im Stadtteil Eltersdorf sorgte zuletzt eine illegale Schule für Schlagzeilen. Die Polizei stürmte das Gebäude - und stieß auf mindestens 15 eigentlich schulpflichtige Kinder. Die Ermittler gehen von einem Bezug zur Reichsbürger-Szene aus.
Rein theoretisch dürfte in Bayern der Schulzwang auch behördlich durchgesetzt werden. Mitarbeiter eines Landratsamtes können nach Hause kommen und die Schüler gegen deren Willen abholen. Das aber geschieht bei Testverweigerern aus einem einfachen Grund nicht: Die Corona-Tests, das betont das Ministerium, dürfen nicht unter Zwang gemacht werden. Die Schüler könnten zwar abgeholt werden, wegen fehlender Abstriche dann aber doch wieder nicht am Unterricht teilnehmen. Der Instrumentenkasten der Behörden ist um die höchste Eskalationsstufe beschnitten.
Eltern erklären: Darum schicken sie Kind nicht zur Schule
In den allermeisten Fällen geraten die Eltern ins Visier der Behörden. Manchmal aber auch die Schüler. Ab dem 14. Lebensjahr können Jugendliche Ordnungswidrigkeiten begehen, sie sind dann selbst belangbar, wenn sie die Coronatests verweigern. Im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen laufen drei Bußgeldverfahren gegen Schüler, in Neustadt/Aisch-Bad Windsheim sind es zwei. Das aber, betonen nahezu alle Behörden, sind Ausnahmen.
Die bayerischen Eltern, die sich unserer Redaktion offenbaren, halten die Testverweigerung für legitim. "Wir sehen hier keine Verletzung der Schulpflicht", schreiben sie. Ihr Kind würde seine Grundschule theoretisch schon besuchen - wenn es keine Maßnahmen, keine Abstriche gäbe. "Aber ihm wird der Besuch nicht gestattet, weil er die freiwilligen Tests nicht mitmachen möchte." Für sie, argumentieren die Eltern, bleibt nur das eigenmächtige Homeschooling - und zwar solange es nötig ist.
Psychloge: "Da hat sich etwas Eigenartiges zusammengebraut"
Für Alfred Spall ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem. "Da hat sich bei Covid etwas ganz Eigenartiges zusammebgebraut", sagt der Würzburger Psychologe. Die Politik habe zu wenig erklärt, einen Teil der Gesellschaft nicht erreicht. "Jetzt wird das Helfende ins Gegenteil verkehrt und als Feind betrachtet." Coronatests, die eigentlich Sicherheit in die Schulen bringen sollen, werden dämonisiert. Spall spricht von einem "Konglomerat aus Abwehr, Widersprüchen, Leugnung und Schuldzuweisungen".
Eltern, die die Abstriche ablehnen, haben dabei wohl den größten Einfluss auf die Jugendlichen. "Aber auch Gleichaltrige können ein Grund für die Aversion gegen die Tests sein", sagt der Psychologe. Das Kind nicht in den Unterricht zu schicken, erklärt Speer, könne jedenfalls nicht die Lösung sein. "Ich würde eher dazu raten, den Ängsten nachzuspüren."
"Dynamik hinterfragen und vorsichtig annähern"
"Schon eine Stunde empathisches Beratungsgespräch würde eine Menge lösen", ist sich der Experte sicher. Bei Angst vor dem Zahnarzt oder eine Prüfung würde man auch nicht auf Vermeidung setzen. "Ich würde das ernst nehmen", sagt Spall. "Aber eben auch die Dynamik dahinter hinterfragen und mich vorsichtig annähern."
Das Klima wird hitziger, Tag für Tag. Was die Gesellschaft entzweit, entlädt sich immer häufiger auch an Frankens Schulen. An einer Bamberger Grundschule plakatierten Unbekannte erst vor wenigen Tagen Morddrohungen gegen Lehrer - wegen der geltenden Corona-Maßnahmen. Die Kripo ermittelt. Es hat sich etwas zusammengebraut, wie es der Psychloge Spall formuliert. Nicht nur an den Schulen. "Die Kinder sind ein Opfer dieser Entwicklung."