Das sollten Sie lesen

Von Annie Ernaux' Abtreibung bis zum Racheengel von Dennis Lehane: Unsere Buchtipps für Februar 2024

21.2.2024, 07:00 Uhr
Alex Capus stimmt in seinem Büchlein "Das kleine Haus am Sonnenhang" ein leises Lied auf die Genügsamkeit an. Das Steingebäude, das der Schweizer in den 1990er Jahren in Italien billig kaufte, bot seiner Liebe, dem Schreiben, und später sogar einem Siebenschläfer ein Dach. Die Lektüre vermittelt die heitere Ahnung, dass die Welt auch gut sein kann. Unvoreingenommen im Licht des Südens betrachtet. (Hanser, 22 Euro)  Christian Mückl
1 / 13

Alex Capus stimmt in seinem Büchlein "Das kleine Haus am Sonnenhang" ein leises Lied auf die Genügsamkeit an. Das Steingebäude, das der Schweizer in den 1990er Jahren in Italien billig kaufte, bot seiner Liebe, dem Schreiben, und später sogar einem Siebenschläfer ein Dach. Die Lektüre vermittelt die heitere Ahnung, dass die Welt auch gut sein kann. Unvoreingenommen im Licht des Südens betrachtet. (Hanser, 22 Euro) Christian Mückl © Hanser; alohamalakhov/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Viele Jahre lang hat Zeruya Shalev ihren ersten Roman nicht mehr zur Hand genommen. Ein Unbehagen erfüllte sie, wenn sie an "Nicht ich" dachte. Sieben dicke Bücher und 30 Jahre später hat sie sich mit ihrem Debüt ausgesöhnt, das jetzt erstmals auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. Israels bekannteste Schriftstellerin lässt darin eine namenlose junge Frau erzählen, die für ihren Geliebten Mann und Kind verlässt. Damit kommt sie nicht klar, sie taumelt durchs Leben, in ihrem Kopf herrscht Chaos, alles liegt in Scherben. Intensiv und verstörend zeigt sich schon viel von Zeruya Shalevs Stärken: eine enorme erzählerische Kraft, ein messerscharfer Blick auf das emotionale Innenleben ihrer Heldinnen und eine schmerzhafte Ehrlichkeit. (Berlin Verlag, 24 Euro) Gabi Eisenack
2 / 13

Viele Jahre lang hat Zeruya Shalev ihren ersten Roman nicht mehr zur Hand genommen. Ein Unbehagen erfüllte sie, wenn sie an "Nicht ich" dachte. Sieben dicke Bücher und 30 Jahre später hat sie sich mit ihrem Debüt ausgesöhnt, das jetzt erstmals auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. Israels bekannteste Schriftstellerin lässt darin eine namenlose junge Frau erzählen, die für ihren Geliebten Mann und Kind verlässt. Damit kommt sie nicht klar, sie taumelt durchs Leben, in ihrem Kopf herrscht Chaos, alles liegt in Scherben. Intensiv und verstörend zeigt sich schon viel von Zeruya Shalevs Stärken: eine enorme erzählerische Kraft, ein messerscharfer Blick auf das emotionale Innenleben ihrer Heldinnen und eine schmerzhafte Ehrlichkeit. (Berlin Verlag, 24 Euro) Gabi Eisenack © Berlin Verlag; JayMantri/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Ja, jetzt hat auch der "Spiegel" die amerikanische Autorin Sigrid Nunez entdeckt... und sicher, sie schreibt wieder über Tiere, wie schon in ihrem Erfolgsroman "Der Freund". Der kleine grüne Ara, um den sich die Erzählerin im neuen Werk  "Die Verletzlichen" kümmern muss, weil die Besitzerin wegen Corona in Kalifornien feststeckt, ist aber nur ein Teil der Handlung, sozusagen der Auslöser. In der fremden New Yorker Wohnung wartet ja noch ein verhaltensauffälliger, aber nicht uninteressanter junger Mann, der mit allem hadert... Wie geht sie, als viel ältere Frau und Autorin damit um? Wie mit der Krise der Pandemie, im Leben wie im Schreiben? Nunez plaudert, zitiert Vorbilder, stellt sanft, aber nachhaltig existenzielle Fragen: Man folgt ihr so amüsiert wie gerührt. (Aufbau, 22 Euro) Wolf Ebersberger
3 / 13

Ja, jetzt hat auch der "Spiegel" die amerikanische Autorin Sigrid Nunez entdeckt... und sicher, sie schreibt wieder über Tiere, wie schon in ihrem Erfolgsroman "Der Freund". Der kleine grüne Ara, um den sich die Erzählerin im neuen Werk "Die Verletzlichen" kümmern muss, weil die Besitzerin wegen Corona in Kalifornien feststeckt, ist aber nur ein Teil der Handlung, sozusagen der Auslöser. In der fremden New Yorker Wohnung wartet ja noch ein verhaltensauffälliger, aber nicht uninteressanter junger Mann, der mit allem hadert... Wie geht sie, als viel ältere Frau und Autorin damit um? Wie mit der Krise der Pandemie, im Leben wie im Schreiben? Nunez plaudert, zitiert Vorbilder, stellt sanft, aber nachhaltig existenzielle Fragen: Man folgt ihr so amüsiert wie gerührt. (Aufbau, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Aufbau; Babs Müller/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

2022 reist Stefanie Sar gnagel nach Iowa, um dort an einem College mitten im Nirgendwo Creative Writing zu unterrichten. Damit sie nicht zu allein in den Maisfeldern steht, begleitet sie die Musiklegende Christiane Rösinger. Zusammen besuchen sie versiffte Bars, in denen es ein Glas voller Truthahnmägen gibt, riesige Supermärkte und qualvoll viele Antiquariate. Es gibt in diesem Reisebericht keinen ausgeklügelten Plot und keine Überraschungen. Stattdessen macht Sargnagel aus Erinnerungen großartige Literatur. Dabei ist ihr Ton sarkastisch, bissig und derb, wenn sie beispielsweise vorschlägt herauszufinden, wessen Intimbereich schneller verfilzt. Vor allem zeigt "Iowa" aber eine Frauenfreundschaft jenseits aller Klischees. (Rowohlt, 22 Euro) Marlene Weyerer
4 / 13

2022 reist Stefanie Sargnagel nach Iowa, um dort an einem College mitten im Nirgendwo Creative Writing zu unterrichten. Damit sie nicht zu allein in den Maisfeldern steht, begleitet sie die Musiklegende Christiane Rösinger. Zusammen besuchen sie versiffte Bars, in denen es ein Glas voller Truthahnmägen gibt, riesige Supermärkte und qualvoll viele Antiquariate. Es gibt in diesem Reisebericht keinen ausgeklügelten Plot und keine Überraschungen. Stattdessen macht Sargnagel aus Erinnerungen großartige Literatur. Dabei ist ihr Ton sarkastisch, bissig und derb, wenn sie beispielsweise vorschlägt herauszufinden, wessen Intimbereich schneller verfilzt. Vor allem zeigt "Iowa" aber eine Frauenfreundschaft jenseits aller Klischees. (Rowohlt, 22 Euro) Marlene Weyerer © Rowohlt; Myléne/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Wie sie wurde, was sie ist, und wofür sie letztlich auch den Literaturnobelpreis bekam: Jetzt kann man erstmals in deutscher Übersetzung den Debütroman "Die leeren Schränke" von Annie Ernaux kennenlernen. Und schon hier zeigen sich die Themen ihrer folgenden, dann so erfolgreichen Werke. Schonungslos und mit unverkennbaren autobiografischen Bezügen berichtet die Autorin vom Werden einer jungen Intellektuellen in widriger Umgebung. Ernaux schreibt über die proletarische Herkunft, aus der sie sich kämpft, um im besseren Milieu ihrer Mitschüler mithalten zu können. Es ist ein wütender Rückblick, die Abrechnung einer Frau, an deren erzählerischem Beginn der Abbruch einer Schwangerschaft steht. Und so ist es der Schmerz, der sich eingräbt in diese verletzliche Person, die es – wir wissen es! – schafft. (Suhrkamp, 23 Euro) Bernd Noack
5 / 13

Wie sie wurde, was sie ist, und wofür sie letztlich auch den Literaturnobelpreis bekam: Jetzt kann man erstmals in deutscher Übersetzung den Debütroman "Die leeren Schränke" von Annie Ernaux kennenlernen. Und schon hier zeigen sich die Themen ihrer folgenden, dann so erfolgreichen Werke. Schonungslos und mit unverkennbaren autobiografischen Bezügen berichtet die Autorin vom Werden einer jungen Intellektuellen in widriger Umgebung. Ernaux schreibt über die proletarische Herkunft, aus der sie sich kämpft, um im besseren Milieu ihrer Mitschüler mithalten zu können. Es ist ein wütender Rückblick, die Abrechnung einer Frau, an deren erzählerischem Beginn der Abbruch einer Schwangerschaft steht. Und so ist es der Schmerz, der sich eingräbt in diese verletzliche Person, die es – wir wissen es! – schafft. (Suhrkamp, 23 Euro) Bernd Noack © Suhrkamp; Hermann Traub/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Die berühmte Verfilmung aus den 60ern, mit Paul Newman als Star, hieß "Haie der Großstadt". Aber da trifft es der Titel der neuen deutschen Übersetzung schon besser. Geht es doch tatsächlich um "Die Partie seines Lebens" , die für den jungen Billardspieler Fast Eddie ansteht. Haushoch hatte er, sich seiner Überlegenheit sicher, gegen den schwarzen Riesen Minnesota Fats gezockt - und dann haushoch verloren! Aber  Walter Tevis ("Das Damengambit") gibt ihm, gewohnt packend und schlackenlos erzählt, natürlich eine zweite Chance... (Diogenes, 24 Euro) Wolf Ebersberger
6 / 13

Die berühmte Verfilmung aus den 60ern, mit Paul Newman als Star, hieß "Haie der Großstadt". Aber da trifft es der Titel der neuen deutschen Übersetzung schon besser. Geht es doch tatsächlich um "Die Partie seines Lebens", die für den jungen Billardspieler Fast Eddie ansteht. Haushoch hatte er, sich seiner Überlegenheit sicher, gegen den schwarzen Riesen Minnesota Fats gezockt - und dann haushoch verloren! Aber Walter Tevis ("Das Damengambit") gibt ihm, gewohnt packend und schlackenlos erzählt, natürlich eine zweite Chance... (Diogenes, 24 Euro) Wolf Ebersberger © Diogenes; Franck Barske/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

An manchen Stellen ist das Buch vielleicht zu privat. Daniel Schreiber dabei zu begleiten, wie er mit Freundinnen Yoga macht, hat zumindest keinen intellektuellen Mehrwert. Dennoch lohnt sich die Lektüre von "Die Zeit der Verluste" -  denn die grundsätzlichen Gedanken, die sich der Journalist und Schriftsteller über das Abschiednehmen macht, sind durchaus inspirierend. Anlass für den neuen Essay Schreibers, der zuletzt mit "Allein" (2021) die Bestsellerliste gestürmt hat, ist der Tod des Vaters. Schon alleine die Biografie dieses in der DDR sozialisierten Mannes, der tagsüber hart arbeitete und abends die Klassiker von Marx und Engels studierte, ist lesenswert. Doch Schreiber, der 1977 in Mecklenburg-Vorpommern geboren wurde und inzwischen in Berlin lebt, geht in seinem Essay über die persönliche Trauer hinaus: Er fragt auch nach dem Verlust von gesellschaftlichen Gewissheiten. (Hanser Berlin, 22 Euro) Marco Puschner
7 / 13

An manchen Stellen ist das Buch vielleicht zu privat. Daniel Schreiber dabei zu begleiten, wie er mit Freundinnen Yoga macht, hat zumindest keinen intellektuellen Mehrwert. Dennoch lohnt sich die Lektüre von "Die Zeit der Verluste" -  denn die grundsätzlichen Gedanken, die sich der Journalist und Schriftsteller über das Abschiednehmen macht, sind durchaus inspirierend. Anlass für den neuen Essay Schreibers, der zuletzt mit "Allein" (2021) die Bestsellerliste gestürmt hat, ist der Tod des Vaters. Schon alleine die Biografie dieses in der DDR sozialisierten Mannes, der tagsüber hart arbeitete und abends die Klassiker von Marx und Engels studierte, ist lesenswert. Doch Schreiber, der 1977 in Mecklenburg-Vorpommern geboren wurde und inzwischen in Berlin lebt, geht in seinem Essay über die persönliche Trauer hinaus: Er fragt auch nach dem Verlust von gesellschaftlichen Gewissheiten. (Hanser Berlin, 22 Euro) Marco Puschner © Hanser; Andras Sziffer/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Mit seinem bösen Roman "Salonfähig" um den Aufstieg eines längst tief gefallenen österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz wurde der 1994 in Wien geborene Autor, Musiker und Slam Poet  Elias Hirschl  auch bei uns über Nacht berühmt. Die Fallstricke der Wirklichkeit, wie sie quer durch unser schönes Nachbarland gespannt sind, brachten ja tatsächlich eine Reihe von aufstrebenden Politikern zu Boden – und ließen sie noch tiefer sinken, als man zu denken wagte. Jetzt in  "Content"  geht es um eine Welt, in der nur noch die Anzahl der Clicks zählt, die online gesammelt werden, und nicht mehr Qualität und Wahrheit. Hirschl übertreibt mal wieder maßlos, um uns bewusst zu machen, dass wir jedes Maß verloren haben. Die Welt geht unter, wir schauen auf dem Bildschirm zu und liken das noch bis zur bitter-komischen Neige. (Zsolnay, 23 Euro)  Bernd Noack
8 / 13

Mit seinem bösen Roman "Salonfähig" um den Aufstieg eines längst tief gefallenen österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz wurde der 1994 in Wien geborene Autor, Musiker und Slam Poet Elias Hirschl auch bei uns über Nacht berühmt. Die Fallstricke der Wirklichkeit, wie sie quer durch unser schönes Nachbarland gespannt sind, brachten ja tatsächlich eine Reihe von aufstrebenden Politikern zu Boden – und ließen sie noch tiefer sinken, als man zu denken wagte. Jetzt in "Content" geht es um eine Welt, in der nur noch die Anzahl der Clicks zählt, die online gesammelt werden, und nicht mehr Qualität und Wahrheit. Hirschl übertreibt mal wieder maßlos, um uns bewusst zu machen, dass wir jedes Maß verloren haben. Die Welt geht unter, wir schauen auf dem Bildschirm zu und liken das noch bis zur bitter-komischen Neige. (Zsolnay, 23 Euro) Bernd Noack © Zsolnay; Micha/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Gut, dass diese Bücher neu übersetzt werden, und dann ja auch noch von Antje Ravic Strubel: die als Autorin ganz genau um die Besonderheiten ihrer US-Kollegin Joan Didion  weiß. In deren Roman "Wie die Vögel unter dem Himmel" geht es um zwei Amerikanerinnen in einem Latino-Schurkenstaat am Äquator und ihr konträres Schicksal. Die eine heiratet sich in die Macht-Elite ein, die andere sucht ihre Tochter, die als Terroristin vermisst wird, und will karitativ helfen: Beide werden elend scheitern. Eine heiß flirrende Annäherung in eisgekühlten Dialogen, Gesellschaftssatire und tristes Requiem: Didion war schon einzigartig. (Ullstein, 23,99 Euro) Wolf Ebersberger
9 / 13

Gut, dass diese Bücher neu übersetzt werden, und dann ja auch noch von Antje Ravic Strubel: die als Autorin ganz genau um die Besonderheiten ihrer US-Kollegin Joan Didion weiß. In deren Roman "Wie die Vögel unter dem Himmel" geht es um zwei Amerikanerinnen in einem Latino-Schurkenstaat am Äquator und ihr konträres Schicksal. Die eine heiratet sich in die Macht-Elite ein, die andere sucht ihre Tochter, die als Terroristin vermisst wird, und will karitativ helfen: Beide werden elend scheitern. Eine heiß flirrende Annäherung in eisgekühlten Dialogen, Gesellschaftssatire und tristes Requiem: Didion war schon einzigartig. (Ullstein, 23,99 Euro) Wolf Ebersberger © Ullstein; PixelAnarchy/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Sechs Jahre hat Dennis Lehane kein Buch mehr geschrieben und er liebäugelt damit, es ganz sein zu lassen. Das wäre schade. In "Sekunden der Gnade" verwebt der Bostoner Autor ("Shutter Island") meisterhaft die fiebrige Gesellschaft der USA in den 70er Jahren mit der herzzerreißenden, gewaltvollen Geschichte seiner originellen Protagonistin. Mary Pat Fennessy ist zunächst eine alleinerziehende Mutter aus einem schlechten Viertel und entwickelt sich dann zu einem Racheengel, der alles plattwalzt, was im Weg steht. Hintergrund sind die Unruhen, die 1974 in Boston ausbrachen, weil weiße Schüler gezwungen wurden, Schulen in schwarzen Vierteln zu besuchen und umgekehrt - das sogenannte "busing". Es geht also um Rassismus und auch die Heldin ist nicht frei davon. In ihr kämpfen angeborene Menschlichkeit und eingebläute Vorurteile, in ihr wüten der Schmerz der eigenen Schuld und der Hass auf andere Schuldige. So entspinnt sich eine höllische Geschichte, die man kaum zur Seite legen kann.  (Diogenes, 26 Euro) Thomas Correll
10 / 13

Sechs Jahre hat Dennis Lehane kein Buch mehr geschrieben und er liebäugelt damit, es ganz sein zu lassen. Das wäre schade. In "Sekunden der Gnade" verwebt der Bostoner Autor ("Shutter Island") meisterhaft die fiebrige Gesellschaft der USA in den 70er Jahren mit der herzzerreißenden, gewaltvollen Geschichte seiner originellen Protagonistin. Mary Pat Fennessy ist zunächst eine alleinerziehende Mutter aus einem schlechten Viertel und entwickelt sich dann zu einem Racheengel, der alles plattwalzt, was im Weg steht. Hintergrund sind die Unruhen, die 1974 in Boston ausbrachen, weil weiße Schüler gezwungen wurden, Schulen in schwarzen Vierteln zu besuchen und umgekehrt - das sogenannte "busing". Es geht also um Rassismus und auch die Heldin ist nicht frei davon. In ihr kämpfen angeborene Menschlichkeit und eingebläute Vorurteile, in ihr wüten der Schmerz der eigenen Schuld und der Hass auf andere Schuldige. So entspinnt sich eine höllische Geschichte, die man kaum zur Seite legen kann.  (Diogenes, 26 Euro) Thomas Correll © Diogenes; Bruce Emmerling/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Hier ist er, der Erbe Kafkas, das ungarische Echo Thomas Bernhards, eine große einsame Stimme verlorener Existenzen: Was nicht heißt, dass Laszlo Krasznahorkai nicht auch komisch ist. In einer der drei Geschichten aus "Im Wahn der anderen" erzählt er aus der Sicht eines New Yorker Bibliothekars, dessen größter Wunsch eine für die Öffentlichkeit geschlossene Bibliothek ist, ein Mausoleum von ihm geliebter Bücher wie "Moby Dick" von Melville. Dessen Lebensweg er übrigens auch manisch nachwandert in der Stadt... Die Zeichnungen von Max Neumann spielen kongenial hinein ins bizarre Lesevergnügen um das Leben als Katastrophe. (S. Fischer, 38 Euro) Wolf Ebersberger 
11 / 13

Hier ist er, der Erbe Kafkas, das ungarische Echo Thomas Bernhards, eine große einsame Stimme verlorener Existenzen: Was nicht heißt, dass Laszlo Krasznahorkai nicht auch komisch ist. In einer der drei Geschichten aus "Im Wahn der anderen" erzählt er aus der Sicht eines New Yorker Bibliothekars, dessen größter Wunsch eine für die Öffentlichkeit geschlossene Bibliothek ist, ein Mausoleum von ihm geliebter Bücher wie "Moby Dick" von Melville. Dessen Lebensweg er übrigens auch manisch nachwandert in der Stadt... Die Zeichnungen von Max Neumann spielen kongenial hinein ins bizarre Lesevergnügen um das Leben als Katastrophe. (S. Fischer, 38 Euro) Wolf Ebersberger  © S. Fischer; Adam Evertsson/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

In "acht längeren Unterredungen" lässt uns Thomas Kapielski ebenso komisch wie melancholisch teilhaben an seiner Existenz, die sich irgendwo abspielt zwischen Katastrophe und Langeweile. "Lebendmasse"  ist – nach "Mischwald" oder "Je dickens, destojewski" – wieder mal so ein köstliches Buch voller Stolpersteine und Fallstricke, die sich im ganz normalen Alltag als Kapriolen gegen die Lethargie erweisen. Es geht um alles, hinter dem stets das blanke Nichts hervorlugt: Kapielski zieht vom Leder, enttarnt den normalen Wahnsinn und fällt sich in seinen Dialogen immer wieder gekonnt selbst in Wort und Denken. Einer wie er, ist so ziemlich der Letzte, der noch den Humor aufbringt und hochhält, der schmerz- und scherzhaft an die gute alte Neue Frankfurter Schule erinnert. (Suhrkamp, 22 Euro) Bernd Noack
12 / 13

In "acht längeren Unterredungen" lässt uns Thomas Kapielski ebenso komisch wie melancholisch teilhaben an seiner Existenz, die sich irgendwo abspielt zwischen Katastrophe und Langeweile. "Lebendmasse" ist – nach "Mischwald" oder "Je dickens, destojewski" – wieder mal so ein köstliches Buch voller Stolpersteine und Fallstricke, die sich im ganz normalen Alltag als Kapriolen gegen die Lethargie erweisen. Es geht um alles, hinter dem stets das blanke Nichts hervorlugt: Kapielski zieht vom Leder, enttarnt den normalen Wahnsinn und fällt sich in seinen Dialogen immer wieder gekonnt selbst in Wort und Denken. Einer wie er, ist so ziemlich der Letzte, der noch den Humor aufbringt und hochhält, der schmerz- und scherzhaft an die gute alte Neue Frankfurter Schule erinnert. (Suhrkamp, 22 Euro) Bernd Noack © Suhrkamp; Hermann Traub/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Der Titel stammt, wie könnte es im runden Gedenkjahr anders sein, von Franz Kafka, der vor hundert Jahren starb: "Leoparden im Tempel" ist eine schöne Sammlung von Essays des blitzgescheiten Germanisten Michael Maar , der uns ja schon mit seiner umfassenden Literaturgeschichte "Die Schlange im Wolfspelz" beglückt hat. Wieder schreibt Maar leichtfüßig über das Schwere, mit dem sich Literaten wie Proust, Canetti, Musil, Nabokov, Mann oder Borges herumschlagen mussten: mit dem eigenen Leben eben und schlechthin. Maar lotet die Grenzen zwischen astreiner Fiktion und den täglichen Existenzängsten aus. Findet sich der Schlüssel zu großer Prosa letztendlich doch im verborgenen Privaten? Maar lüftet überraschende Geheimnisse. (Rowohlt, 22 Euro) Bernd Noack
13 / 13

Der Titel stammt, wie könnte es im runden Gedenkjahr anders sein, von Franz Kafka, der vor hundert Jahren starb: "Leoparden im Tempel" ist eine schöne Sammlung von Essays des blitzgescheiten Germanisten Michael Maar, der uns ja schon mit seiner umfassenden Literaturgeschichte "Die Schlange im Wolfspelz" beglückt hat. Wieder schreibt Maar leichtfüßig über das Schwere, mit dem sich Literaten wie Proust, Canetti, Musil, Nabokov, Mann oder Borges herumschlagen mussten: mit dem eigenen Leben eben und schlechthin. Maar lotet die Grenzen zwischen astreiner Fiktion und den täglichen Existenzängsten aus. Findet sich der Schlüssel zu großer Prosa letztendlich doch im verborgenen Privaten? Maar lüftet überraschende Geheimnisse. (Rowohlt, 22 Euro) Bernd Noack © Rowohlt; Rudy and Peter Skitterians/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid

Verwandte Themen