Betroffene erzählt von brutaler Attacke
Pferde in Franken verstümmelt: Was treibt die Ripper an? "Sie quälen Tiere, um zu üben"
24.10.2021, 11:01 UhrEine dicke Wunde klafft an Flamencos Bauch. Etwa 25 Zentimeter tief drang der Täter mit einem "scharfkantigen Gegenstand", so wird es später in der Pressemitteilung der Polizei stehen, in das Pferd ein. Das Fell ist von Blut durchtränkt, auch an den Genitalien hat sich der Angreifer vergangen. Medien schreiben in solchen Fällen von "Pferderippern", Betroffene sprechen von gefährlichen Irren, die hinterlistig Tiere quälen. Immer wieder kommt es auch in Franken zu solchen Attacken, immer wieder werden Tiere teils tödlich verletzt, häufig kommen die Täter davon. Das letzte Opfer in der Region: der Wallach Flamenco aus dem unterfränkischen Leinach.
Wer mit Isabella Karch über den 22. September, einen scheinbar normalen Mittwoch im Frühherbst, spricht, der spürt noch immer den Schock. "Ein Blutmassaker" an ihrem Tier sei das gewesen, sagt die Besitzerin. Mehrfach stach der unbekannte Täter mitten am Tag auf das Pferd ein, einen Andalusier, gerade einmal fünf Jahre alt. Nach dem Angriff auf der Koppel flüchtete das Pferd, sprang über einen Zaun und rannte in die Stallgasse des "Schranzhof" in Leinach. "Eine völlig aufgelöste Kollegin rief mich an und meinte, da ist alles voller Blut", erzählt Karch. Eine Tierärztin, die glücklicherweise nur Minuten nach den Stichen ankam, schickte Flamenco und Karch in eine Tierklinik. "Drei Nächte wurde er intensiv versorgt, dann haben wir ihn noch einmal zehn Tage dort gelassen und später in eine andere Klinik in der Nähe gestellt." Erst am vergangenen Samstag, also drei Wochen nach dem Angriff, kann der Andalusier zurück in seinen Stall. Bis alles vollständig verheilt ist, wird ein halbes Jahr vergehen. Mindestens.
"Was hat man davon, wer tut so etwas?", fragt Karch. Es ist die Frage, die sich alle Betroffenen stellen. "Manchmal gibt es ein sexuelles Motiv hinter den Taten", sagt die Psychologin Andrea Beetz von der internationalen Hochschule IUBH. Die Erlangerin forscht seit Jahren daran, was Tierquäler antreibt. "Pferde, die besonders ästhetisch sind, groß, die Sexualität ausdrücken, ziehen Menschen mit solchen Fantasien an." Immer wieder steckt hinter den Taten eine zoophile Neigung, also der Wunsch, Geschlechtsverkehr mit Tieren zu haben. "Gerade bei Pferden existiert bei ihnen der Wunsch, dieses große Tier zu penetrieren - sei es mit Waffen oder anderweitig."
Womöglich üben die Täter aber auch nur, erklärt Beetz. Sie probieren sich an Pferden aus, testen, wie weit sie gehen können. Beispiele für Tierquäler, die später kaltblütig Menschen ermorden, gibt es viele. Forensiker sprechen dabei von einer "Probierphase". Der als "Rhein-Ruhr-Ripper" bekannte Serienmörder Frank Gust etwa verging sich hundertfach an Pferden, Schafen und Rindern, bevor er vier Menschen tötete. "Wenn man an Tieren übt, ist es ungefährlicher, erwischt zu werden", sagt Beetz. "Ein Pferd hält den Mund." Frühere Studien gehen davon aus, dass je nach Alter zwischen 30 und 60 Prozent der Sexualmörder zuvor Tiere gequält haben, erklärt die Psychologin. "Die Gewaltfantasie gegenüber Menschen schwelt im Hintergrund, sie wird quasi substituiert."
Der Polizei fehlen Zahlen - Peta fordert Register
Wie häufig die sogenannten Pferderipper zuschlagen, bleibt unklar. Die Tierrechtsorganisation Peta sammelt Fälle aus ganz Deutschland. "Wir wissen bisher von 250 Tatorten, bei denen 900 Pferde verletzt wurden", sagt Fachreferentin Jana Hoger. "Aber wir bekommen bei weitem nicht alles mit - die Dunkelziffer liegt deutlich höher." Auch die Polizei tappt im Dunkeln, denn: Die Kriminalstatistik erfasst ganz allgemein nur Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. "Eine valide Aussage über die Anzahl (...) ist nicht möglich", teilt etwa das Präsidium Mittelfranken mit - spricht aber eher von Einzelfällen. Auch die unterfränkische Polizei kann keine konkreten Zahlen nennen.
Genau das kritisiert Peta. Die Aktivisten fordern ein behördliches Register, in dem Anschläge auf Pferde und überführte Täter erfasst werden. Nur so sei es möglich, Zusammenhänge zu erkennen und Profile der Ripper zu erstellen. Häufig enden die wenigen Verfahren, bei denen Angreifer gefasst werden, mit Bewährungs- oder Geldstrafen. "Wir plädieren für härtere Konsequenzen", sagt Hoger von Peta. "Man muss solche Menschen therapieren, aber auch klar machen, dass sie mit der Härte des Gesetzes rechnen müssen." Theoretisch sind nach Paragraph 17 des Tierschutzgesetzes Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren möglich - ausgesprochen wird das aber nur selten.
"Wer einmal Gefallen gefunden hat, wird es wieder tun"
Auch die Psychologin Andrea Beetz warnt davor, die Taten zu bagatellisieren. "Wenn sie sehen, welches Gewaltpotenzial gegen Menschen und Tieren vorhanden ist, muss eine psychiatrisch-forensische Begutachtung gemacht werden." Richter, sagt die Expertin, sollten immer auch eine mögliche Unterbringungen in einer psychiatrischen Klinik in Betracht ziehen.
Die Gefahr von Rückfällen ist gewaltig. "Wer das einmal gemacht und Gefallen daran gefunden hat, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit wieder tun", sagt Beetz. "Oder sein Vorgehen verbessern, weil es nicht so toll wie in seiner Fantasie war." Häufig planen die Angreifer ihre Taten penibel, spähen Höfe aus, suchen nach Zeiten, in denen die Pferde alleine auf der Koppel stehen. "Niemand geht nachts zufällig an der Weide spazieren und springt dann über den Stromzaun."
Challenge im Darknet?
Peta spricht von einer auffälligen lokalen Häufung. Sind es Serientäter, Trittbrettfahrer - oder ein makabrer Trend? Nach Übergriffen in Frankreich etwa vermuteten Ermittler eine Art Trophäenjagd - zuvor hatten Unbekannte im Darknet dazu aufgerufen, Pferden etwa Genitalien und Ohren abzuschneiden, um sie später über verschlüsselte Seiten zu verkaufen. Bis zum Sommer 2020 wurden über 150 Tiere Opfer. Zwischenzeitlich prüfte die Polizei in Mannheim einen Zusammenhang zur Serie in Frankreich - auch in Baden-Württemberg häuften sich die Vorfälle, Pferde wurden nach ähnlichem Muster verstümmelt und teils tödlich verletzt. "Das hat sich aber zerschlagen", sagt ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Ermittlungen laufen noch immer.
Von dem Täter, der in Leinbach auf Flamenco einstach, fehlt weiter jede Spur. Wie so häufig. Das nagt an Besitzerin Isabella Karch, die Angst ist zermürbend. "Wir sind uns nicht sicher, ob er nicht wieder kommt", sagt sie. "Sekundärtraumatisierung" nennt das die Psychologin Andrea Beetz. "Besitzer hängen emotional an den Tieren, für viele sind sie Familienmitglieder", erklärt die Expertin. "Und oft ist es Teil der Motivation der Täter, etwas so Wertvolles zu schänden."
"Ja, objektiv ist es nur ein Tier", sagt Karch. "Aber das kommt nur von Leuten, die nichts mit Pferdesport zu tun haben. Für einen selbst ist es mehr." Noch immer ist sie in Sorge. Eine Kamera soll zumindest etwas Sicherheit auf den "Schranzhof" bringen. "Aber man weiß nie, ob nicht gleich das Telefon klingelt – und man gesagt bekommt, es ist wieder passiert. Das ist ein Schaden fürs Leben."
Die Tierrechtsorganisation Peta rät Besitzern dazu, Koppeln mit Kameras zu überwachen. "Führen Sie Kontrollgänge zu unregelmäßigen Zeiten mit mindestens zwei Personen durch", sagen die Aktivisten. Tierhalter sollten sich in ihren jeweiligen Regionen vernetzen. Und: "Melden Sie verdächtige Beobachtungen sofort der zuständigen Polizeibehörde."