Aufwändige Kulissenbauten
Was für ein Schießbudenzauber! Die Volksfeste in Nürnberg um 1900 machten Eindruck
22.8.2023, 15:00 UhrEin Summs, ein Gwurl! Steht man inmitten der Menschenmassen, die sich alljährlich auf dem Nürnberger Herbstvolksfest drängen, fragt man sich ein wenig, ob es die zuckenden Lichter, die knallig bunten Bemalungen und fantastischen Schauarchitekturen überhaupt braucht. Denn zum Schauen kommt man meist eh nicht.
Das ist schade, denn viele Schausteller geben sich alle Mühe, ihre Buden und Fahrgeschäfte farbenfroh zu gestalten. Gut, manchem Künstler entgleiten da schon mal Pinsel und Spraydose, sowohl handwerklich als auch inhaltlich. Doch insgesamt darf man sagen, dass das schrille Kunterbunt einem Volksfest doch erst die richtige Würze verleiht.
Kämmerer wurde nicht gefragt
Das war in den beiden vergangenen Jahrhunderten nicht anders. Schon um 1900 bemühte man sich, das große Tamtam zum Hingucker zu machen. Gleichwohl überließ man die Gestaltung nicht allein dem Gutdünken und der individuell ja doch recht unterschiedlichen ästhetischen Befähigung der einzelnen Schausteller. Die durften zwar – wenngleich im Rahmen strenger Regeln – ihre eigenen Schauplätze selbst dekorieren. Die Entwürfe für die allgemeine Festdekoration und das zentrale Verwaltungs- und Restaurationsgebäude aber nahm die Stadt Nürnberg selbst in die Hand.
Dass die hohe Kunst selbst diesen Winkel des Alltags eroberte, war nichts Ungewöhnliches in einer Zeit, in der die Grundlagen der modernen Architektur, des Industrie- und Grafikdesigns geschaffen wurden, in der nahezu jedes noch so unscheinbare Ding mit den Augen des Ästheten betrachtet wurde.
Nachgebaute Burgen und Türme
Angesichts des Aufwands, den Entwurf und Herstellung von Volksfestbauten und -schmuck darstellte, würde es dem heutigen Stadtkämmerer die Nackenhaare aufstellen. Auch wenn das Volksfest bis 1919 nur einmal im Jahr stattfand, verwendete man keine der Festarchitekturen ein zweites Mal. Man gönnte sich’s, weil man’s wollte – und konnte.
Anfangs ging das Bauamt noch etwas marktschreierisch zu Werke: Beim Volksfest 1896, das auf dem heute weitgehend zugebauten Ludwigsfeld stattfand, verkleidete man die Bauten schlicht mit Verblendungen und Aufbauten aus Holz und Pappmaché. Das Ganze sah ein wenig aus wie eine verhungerte Nachahmung des Schlosses Vajdahunyad in Budapest: ein bunt zusammengewürfeltes Sammelsurium aus Versatzstücken historischer Nürnberger Architektur vom Luginsland bis zur Alten Schau, künstlerisch solide ausgeführt, aber doch deutlich als mehr oder minder windige Schießbudenarchitektur erkennbar. Auch in den Folgejahren blieb man dem altfränkischen Thema treu, nun mit etwas opulenteren Bauwerken, darunter ein Nachbau des Klingenturms der Rothenburger Stadtmauer.
Dann nahm der städtische Oberingenieur Georg Kuch die Zügel in die Hand. Offenbar inspiriert von den seinerzeit populären Weltausstellungen und den in Nürnberg stattfindenden Bayerischen Landesausstellungen, schuf er alljährlich geradezu märchenhafte Ensembles im Geiste des Jugendstils, die bis ins letzte Detail durchgeplant waren und in ihrer weltentrückten Eleganz mit nichts vergleichbar sind, was wir heute an Bauten auf unseren Volksfesten sehen.
Im Zentrum stand stets ein majestätischer, symmetrisch aufgerissener und von einem malerischen Aussichtsturm überragter Bau, der Verwaltung, Festwache, Hauptrestauration, Wandelgänge, Freisitze und so weiter enthielt. Zwischen der Einfriedung und den flankierenden Pavillons erstreckten sich Grünanlagen aus extra angekarrten Topfbäumen, zwischen denen in einigen Jahren sogar Fontänen plätscherten.
Die opulenten Entwürfe aus Kuchs Händen lassen sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nachverfolgen. Dann war das Volksfest aus offensichtlichen Gründen erst mal passé, und die Stadtväter der Weimarer Republik hatten dann offenbar kein Interesse mehr daran, weiterhin Geld für derlei temporäre Monumentalbauten zu verpulvern.
Wer hat historisches Material?
Leider haben es Buden und Fahrgeschäfte an sich, dass sie schlecht mit dem Bedürfnis der Besucher nach einem immer neuen "Kick" mithalten können. Diesen Modernisierungsdruck übersteht allenfalls mal eine Schiffschaukel, ein Riesenrad, ein Kinder- oder Kettenkarussell. Und dann war die Schießbudenarchitektur der Nürnberger Volksfeste nun mal auch nur für eine sehr kurze Lebenszeit von wenigen Wochen bestimmt. Zwar verwendete man wohl einzelne Elemente wieder; doch außer alten Ansichtskarten und Fotos – ob die Baupläne erhalten sind, wird noch zu klären sein – ist von den wunderbaren Festpalästen nichts erhalten geblieben.
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, noch über Bild- oder Planmaterial zu den historischen Nürnberger Volksfestbauten bis 1914 verfügen, würde sich der Verfasser riesig über Ihre Nachricht freuen. Denn diese alten Volksfestbauten sind durchaus ein kleines, feines Forschungsprojekt wert!
Ansonsten: Genießen Sie das Volksfest. Oder, wenn es Ihnen zu laut und zu stressig ist, erfreuen sie sich an der Gestaltungsfreude unserer Altvorderen. Die hatten zwar noch keine "Leopardenspur" und keine "XXL Krake", aber Spaß am gemütlichen Beisammensein und dem sprichwörtlichen Budenzauber hatten sie wohl!
Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de
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