Schamvolle Anreise nur mit Handgepäck
Trauen Sie sich FKK-Urlaub zu? Ein Anfänger hat ihn für Sie in Südfrankreich ausprobiert
19.8.2023, 06:00 UhrAls mich die sympathische Dame mit französischem Akzent anrief und fragte, ob mir ein Handgepäck für die anstehende Reise reiche, wurde mir klar, worauf ich mich da eigentlich eingelassen habe. Die Antwort lag auf der Hand: Natürlich reicht ein kleiner Rucksack – viel anzuziehen werde ich nicht brauchen – ich bin ja nackt.
Mit dem Flieger geht es erst nach Marseille, weiter mit dem Auto über zahllose Kreisverkehre und wunderschöne Landstraßen nach Barjac – natürlich noch ganz in Textil. Unser erster Halt liegt zwischen Provence und Gard, im Herzen der Cèze-Schluchten: Dort liegt der Naturisten-Campingplatz Domaine de la Sablière. In der Rezeption angekommen, wirkt auf den ersten Blick alles recht gewöhnlich – die Angestellten sind angezogen. Doch ein Blick auf die Campingordnung zeigt – das wird sich für uns schon bald ändern.
Unter Punkt 8 „Nacktheit“ heißt es: „Soweit es das Wetter erlaubt, ist Nacktheit auf der gesamten Domaine de la Sablière unerlässlich.“ Nun ja – die Sonne scheint bei angenehmen 27 Grad. Wer da schüchtern wird – Entwarnung! „Wir haben hier keine FKK-Polizei“, erklärt der Deutsch-Franzose Alex David, ein Mitarbeiter des Camps. Allerdings gibt es an allen Bademöglichkeiten und den Animationsangeboten rund um Bogenschießen, Töpfern und Co. nur unbekleidet Zutritt.
Manche bleiben drei Wochen ununterbrochen nackt
Doch es geht noch deutlich konsequenter, erzählt Alex: „Wir haben Leute, die kommen hier oben an, ziehen sich aus, bleiben drei Wochen nackt und ziehen sich erst zur Abfahrt wieder an“. Ich frage ihn, warum es sich lohnt, das Naturismus-Dasein einfach mal auszuprobieren: „Man geht ja auch nackt duschen. Es ist einfach so: Freiheit!“. Das klingt schlüssig.
Die vier-Sterne-Anlage liegt an einem Hang – rund 100 Höhenmeter sind es von der Rezeption ganz oben bis zum Fluss im Tal. In der Hochsaison pendeln hier Busse 30 Haltestellen ab. Bis zu 2000 Naturisten finden an den rund 500 Stellplätzen inklusive Mietunterkünften Platz. Die Anlage teilt sich in mehrere Teile auf – oben ein großer Badebereich mit Sauna, Restaurant und Bar. Daneben Konzertbühnen und Ateliers, die das Animationsprogramm im Sommer abrunden.
Weiter unten kommen wir an einem Restaurant, Fitnessstudio und einem Supermarkt vorbei – hier gib es frische Backwaren und Bio-Lebensmittel. Sofort schießt mir eine Frage durch den Kopf: „Aber dort geht man angezogen rein – oder?“. Ich wage den Versuch, möchte mich für die nächsten Tage eindecken – zunächst bedeckt. Im Laden stelle ich fest – ich bin der einzige mit Kleidung. Schnell schleiche ich mich heraus, packe meine Klamotten in die Einkaufstasche und kehre zurück.
Angepasst an die Gegebenheiten fühle ich mich schlagartig wohler. Auch wenn es sich anfangs ein wenig absurd anfühlt: Im Adamskostüm in gebrochenem Französisch ein herrlich knuspriges Baguette bei der Kassiererin zu bestellen – es ist hier völlig normal. Doch wie geht es am Abend im Restaurant weiter? Als blutiger FKK-Anfänger merke ich – ich brauche Tipps.
Die gibt es von zwei Langzeitgästen des Platzes: Klaus und Ute. Von ihnen erfahre ich die Grundlagen. Der ständige Begleiter des Naturisten: Ein Handtuch. Ganz einfach aus hygienischen Gründen – das Tuch wird als Unterlage genutzt, wenn man irgendwo Platz nimmt. Ute ist da schon einen Schritt weiter: Sie hat eine Tasche in ihr Handtuch eingenäht. Darin befindet sich ein aufblasbarer Plastikbeutel - ideal als Kopfkissen.
Auch wenn es im Restaurant freigestellt ist: Aus ästhetischen Gründen speisen die beiden hier lieber angezogen, das sei eine Stilfrage. Ich frage sie, warum es sie immer wieder zu dem Naturisten-Campingplatz zieht: "Das ist das Schöne am FKK-Leben – es ist vollkommen wurscht, ob dick, dünn, groß oder klein“, verrät mir Klaus – der für seine 87 Jahre einen äußerst fitten Eindruck macht. "Wie der Mensch ist, ist das Entscheidende.“
Ute erklärt: „Du legst alles ab. Es kommt nicht auf den Körper an, sondern auf das, was drinsteckt“. Für Klaus ist das Nackt sein schon lange Routine: „Ich mache das seit fast 50 Jahren. Ich hab da überhaupt keine Probleme. Auf den Textilplätzen ist es schon passiert, da komme ich aus dem FKK-Leben zurück, geh aus dem Wohnwagen, hab nichts an – schnell zurückgerannt und was angezogen“.
Ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper ist wichtig
Ich berichte von meinem anfänglichen Unwohlsein – den ganzen Tag nackt durch die Landschaft zu stolzieren – was bedeutet nackt zu sein für das eigene Selbstbewusstsein? Ute: „Das war bei mir jahrzehntelange Sozialisierung. Was man als Frau oben tragen muss ist dermaßen lästig. Ich lasse das, seit ich 17 bin, das sind jetzt auch schon über 50 Jahre. Als ältere Frau hat es mein Selbstbewusstsein gestärkt, zu sehen, wie ich altere – zu sehen, dass andere anders altern, noch mehr Falten haben.“ Klaus fügt hinzu: „Auf dem Textilplatz sind die Kinder verklemmt oder prüde und die Eltern - ach igitt und alles Mögliche. Auf dem FKK-Platz gehen kleine Kinder gerne nackig herum, für die ist es normal und das ist ein ganz anderes Leben.“
In der Pubertät kann sich das dann kurzzeitig ändern, wie Ute beobachtet: „Die Kleinkinder sind frei - wenn sie dann zu Erwachsenen werden, ziehen sie mitunter für diese Phase etwas an. Wenn die Mädchen zum Beispiel ihre Tage haben, tragen sie eventuell ein Bikinihöschen, Jungs ziehen Badehosen an, wenn sie von den Felsen springen. Das ist dann auch erlaubt. In der Regel entwickeln sie einen guten Bezug zum eigenen Körper - und das kann sich dann auch positiv auf die Entwicklung einer guten Sexualität auswirken.“
Am Fuße des Campingplatzes fließt die Cezè, ein Fluss, der in malerischer Landschaft zum Naturbaden einlädt. Hier steht auch mein komfortables Mobilheim für die nächsten Tage. Ringsherum lädt ein 15 kilometerlanges Wandernetz zum Nackt wandern ein. Zugegeben, die ersten Spaziergänge fühlen sich fantastisch an – genügend Mückenspray für wirklich alle Körperregionen vorausgesetzt. Abenteuerlustige erforschen hier Höhlen, wer es etwas gemütlicher mag, zieht sich ein wenig Textil an und besucht die rund acht Kilometer entfernte malerische Gemeinde Barjac.
Weiter zu einem der ältesten FKK-Plätze überhaupt
Weiter geht es in die tiefste Provence zu einer echten Institution des französischen Naturismus, dem FKK-Campinglatz Bèlèzy wischen Luberon und dem Mont Ventoux nahe dem Städtchen Bèdoin. Seit 1967 gibt es ihn, auf rund 25 Hektar liegen 150 Stellplätze und 150 Mobilheime, 12 verschiedene Arten von Quartieren vom Schlafsaal über Baumhäuser bis hin zu großen Familien-Bungalows.
An der Rezeption treffe ich Debby Boeynaems, sie war mit 14 Jahren zum ersten Mal in Belezy und arbeitet hier nun schon seit 30 Jahren. Für sie ist das kleine Campingdorf im grünen Pinienwald ein Zuhause geworden, besonders der Berg Vedoux hat es ihr angetan. Was den Dresscode betrifft, sind die Regeln hier ähnlich: Am Pool gilt Nacktpflicht, ansonsten ist es den Gästen freigestellt, wie sie auf dem Platz unterwegs sind. Wichtig ist, dass sich die Besucher sicher und wohlfühlen. Sollte ein Spanner sein Unwesen treiben, gar Schnappschüsse machen, wird er direkt vom Campingplatz verbannt und – es die anderen Plätze gewarnt.
Ans Nacktsein gewöhnt man sich schnell
Während wir über den Campingplatz spazieren, fühle ich mich zunehmend wohler. Jeder grüßt freundlich, strahlt freudig – und an die ganze Nacktheit gewöhne ich mich auch immer mehr. Dreckwäsche gibt es kaum. Wenn mal etwas dreckig wird, bin ich das. Im Zentrum des Platzes, zwischen Schwimmanlage und Restaurant, spielt eine große Gruppe Pétanque, Volkssport in Frankreich, bei dem die Kugeln fliegen, ähnlich dem Boccia-Spiel in Deutschland. Der Mix aus Jung und Alt ist herrlich befreit. Wer wie ich neu im Naturismus ist, ist in Bélézy gut aufgehoben. Der Platz ist überschaubar, dank separater Quartiere kann man sich langsam an die Nacktheit heranwagen. Wer sich gar nicht wohlfühlt, muss lediglich aufs Schwimmen verzichten.
Wer nackt und nah an der Natur ist, möchte regionale Lebensmittel, wie es sie im ansässigen Supermarkt und Restaurant gibt. Hier werden sogar Trüffel serviert. Die stammen wie der Wein aus der Region. Die Kleinsten können ihre Naturverbundenheit auf einem kleinen Bauernhof ausleben, der sich mitten im Campingplatz befindet. Hier gibt es unter anderem Hühner, Kaninchen und Ziegen. Gerade Familien finden dort viele Freizeitangebote: Spielplätze, Badeanlagen, eine Bücherei, Musik-Workshops oder Maler-Ateliers. Dazu gibt es zahlreiche Ausflüge, auch in die Weinberge rund um Bèdoin.
Aus Scham wurde Leichtigkeit
Ich empfinde nach meiner ersten Woche Naturismus-Camping ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Es fühlt sich an, als würde man sich bei einem Spaziergang über den Platz stets auf Augenhöhe mit den anderen Gästen befinden. Für allzu kritische Blicke gibt es auch keinen Grund – immerhin befinden wir uns hier alle im selben Boot, man ist der Situation schlicht ausgeliefert.
Die anfängliche Scham - die mit dem einen oder anderen Gläschen französischen Wein weichgespült würde, ist einer Leichtigkeit gewichen. Ich nehme mit, dass ich schon irgendwie passe - wir alle hier irgendwie passen. Wie der Herrgott uns nun mal geschaffen hat. Und wer damit ein Problem hat - der bleibt fern oder schaut halt einfach weg.
Mehr Informationen:
www.france4naturisme.com/de
Campingplatz 1:
https://de.villagesabliere.com/
Telefonnummer.:
+33 4 66 24 51 16
Campingplatz 2
https://de.belezy.com/
Telefonnummer:
+33 4 90 65 60 18
Anreise: Mit dem Flugzeug ab München nach Marseille, von dort noch rund 100 Kilometer mit dem Mietwagen oder ÖVP. Ab Nürnberg mit dem Auto circa 1040 Kilometer
Sehenswert: Tagesausflüge nach Barjac, Avignon und Bédoin
Beste Jahreszeit: Von Mai bis September
Unbedingt einpacken: Ein Handtuch
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