Zwei neue Modellvarianten
MG4 Electric: Mit noch mehr Schlagkraft gegen den ID.3?
21.10.2023, 00:18 UhrMG hat seine Chance gut genutzt: In der neuen Welt der Elektromobilität, in der etablierte Namen auf einmal gar nicht mehr so viel gelten, konnte der chinesische Hersteller schon etliche Kunden erobern. Mit einem Zuwachs von knapp 125 Prozent erarbeitete man sich im ersten Halbjahr 2023 den Ruhm der deutschlandweit am stärksten wachsenden Automarke. Dieser Erfolg beruht vor allem auf dem MG4 Electric, einem 4,29 Meter langen Kompakt-Stromer im Golf-Format, wobei rein antriebstechnisch eher der VW ID.3 die Referenzgröße ist. Der extrovertiert gestylte Crossover mit dem auffälligen, zweigeteilten Dachspoiler wird seit Jahresfrist verkauft und hat sich schnell zum meistverkauften MG-Modell entwickelt.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt
Das Erfolgsrezept weist Zutaten wie solide Verarbeitung, alltagstauglichen Elektroantrieb, modernes Infotainment und – vor allem – ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis auf. Zwar kann der MG4 nicht als der vielbeschworene chinesische Billig-Stromer durchgehen, doch mit Preisen ab 34.990 Euro ist er ein ebenso vernünftiges wie erschwingliches Angebot. Überhaupt hält MG großen Abstand zu teuren Luxus-Chinesen wie Nio, einer Marke mit bislang begrenztem Erfolg, die in der Januar-bis-September-Zulassungsstatistik 2023 mit bescheidenen 885 Einheiten dahindümpelt. Zum Vergleich: MG kommt auf die Zahl 14.869 und lässt damit auch die anderen chinesischen Konkurrenten weit hinter sich.
Zurück zum MG4, denn vom ihm gibt es Neues zu berichten: Das bisherige Modellprogramm aus dem „Standard“ (51-kWh-Lithium-Ionen-Eisenphosphat-Akku, 125 kW/170 PS, 350 Kilometer WLTP-Reichweite) sowie dem „Comfort“ und dem „Luxury“ (64-kWh-Nickel-Kobalt-Mangan-Batterie, 150 kW/204 PS, bis zu 450 Kilometer WLTP-Reichweite) erfährt Ergänzung durch zwei weitere Varianten: Dem 180 kW/245 PS starken „Trophy Extended Range“, der dank 77-kWh-Akkukapazität 520 Kilometer bis zum nächsten Ladestopp zurücklegen kann. Und dem XPower, der die mittlere 64-kWh-Batterie bekommt, den eine Akkuladung 395 Kilometer weit bringt und der mit 320 kW/435 PS powerstromert. Bereitgestellt wird die beachtliche Leistung von gleich zwei Elektromotoren, einer sitzt an der Vorder-, der andere an der Hinterachse. Das bedeutet, dass der XPower im Unterschied zum heckgetriebenen Rest der MG4-Familie mit Allradantrieb ans Werk geht.
Ob man sich den einen oder den anderen Neuling leistet, ist letztlich keine Frage des Geldes, sondern eine der Erwartungshaltung. Beide Varianten trennen preislich nur 1000 Euro - jeweils gut ausgestattet kostet der „Trophy“ ab 45.990 Euro und der XSport ab 46.990 Euro. Entscheidend ist eher, was man will als Kunde: So viel Reichweite wie möglich? Dann macht der Trophy Sinn. Oder so viel Leistung, wie sie das MG-Portfolio nur hergibt? In diesem Fall kommt der XPower gerade recht.
Reichweite: Was sagt die Praxis?
Wir nähern uns zunächst dem „Trophy“ an. Papier ist geduldig, aber wie sieht es mit dem elektrischen Aktionsradius in der Praxis aus? Der Bordcomputer verspricht beim Start 511 Kilometer, aber letztlich ist natürlich die Fahrweise entscheidend dafür, wie weit man mit einer Akkuladung kommt. Wir entscheiden uns gegen eine Schleichtour, nehmen die Autobahn mit Richtgeschwindigkeit 130 und einem kurzen Ausflug auf die Spitze von (abgeregelten) 180 km/h unter die Räder, stromern entspannt durchs Voralpenland und durch den Münchner Stadtverkehr. Am Ende unserer 150 Kilometer langen Proberunde haben wir im Schnitt 17,7 kWh/100 km verbraucht, rein rechnerisch wären also rund 435 Kilometer möglich. Da kann man nicht meckern.
Fahrtechnisch hinterlässt auch die Trophy-Variante jenen guten Fahreindruck, den wir schon beim Erstkontakt mit dem MG4 Electric gewonnen haben. Noch zügiger geht es freilich voran, mit leicht säuselndem Antrieb, einer angenehm direkten Lenkung und einem im Sinne der Kurvenfestigkeit leicht angestrafftem Fahrwerk, das aber trotzdem sehr zivilisierten Komfort vermittelt.
Fahrspaßintensiver lässt es erwartungsgemäß der XPower angehen, der in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h schießt und den die Elektronik erst bei 200 km/h einbremst. Von halbstarkem Manta-Manta-Gebaren wollte MG nichts wissen, auch nicht beim Outfit, „es ist nicht darum gegangen, ein Track-Day-Auto auf den Markt zu bringen“, sagt MG Deutschlands PR-Chef Marc Hecht. Bei aller Leistungsstärke habe der Elektro-Sportler vielmehr die Alltagstauglichkeit behalten sollen und kommuniziere seine Power eher „subtil“, unter anderem mit orangefarbenen Bremszangen, neuen 18-Zoll-Leichtmetallfelgen und diversen polierten Zierelementen. Zum technischen Rüstzeug gehören ein dynamisches Kurvenkontrollsystem aus elektronischem Sperrdifferenzial und intelligenter Motorsteuerung, welches – zum Wohle der Traktion und der Fahrstabilität - das sogenannte „Torque Vectoring“ zwischen allen vier Rädern ermöglicht.
Weil den Elektromobilisten auch die Ladetechnik interessieren muss: Die AC-Wallbox wird mit bis zu 11 kW angezapft, die DC-Schnellladestation mit bis zu 144 beziehungsweise (XPower) 140 kW. 38 respektive 26 Minuten reichen nach Herstellerangabe, um das Fahrzeug von 10 auf 80 Prozent aufzuladen. Eine Wärmepumpe gibt es serienmäßig.
Ein offenes Ohr haben bei MG ein paar kundenseitig geäußerte Kritikpunkte gefunden: Der MG4 hat jetzt einen Heckscheibenwischer (wow, hören wir den Leser ausrufen) sowie eine dritte Kopfstütze im Fond und beherrscht One-Pedal-Driving. Der korrigierende Übereifer der Fahrassistenten wurde wohltuenderweise eingedämmt; trotzdem bremst der Abstandstempomat bei Annäherung an einen langsameren Vordermann noch immer recht unelegant ab. Zu vielen Funktionen führt nur der schicke 10,25-Touchscreen, auch zu den Intensitätsstufen der Rekuperation, wobei wir nach anfänglichem Stirnrunzeln gelernt haben, dass sich dieses Feature als direkter „Short Cut“ auf einer Lenkradtaste ablegen lässt. Unbedingt hinzulernen sollte der MG4 aber noch bei der Laderoutenplanung des Navis, „wir arbeiten daran“, sagt Marc Hecht.
500 Kilogramm Anhängelast
Zufrieden darf man mit den Platzverhältnissen sein, vorne wie hinten sitzt es sich gut, viele Ablagemöglichkeiten stehen zur Verfügung, und das Beladen des 363 bis 1165 Liter großen Kofferraums (XPower 1177 Liter) gerät dank der niedrigen Ladekante keineswegs zum Kraftakt. Eine elektrisch öffnende und schließende Heckklappe gibt es ebensowenig wie einen Frunk, dafür jedoch eine Anhängerkupplung, die Anhängelast wird mit bescheidenen 500 Kilogramm beziffert, die Stützlast (Stichwort Fahrradträger) mit 50 Kilogramm.
Haben wir MG eingangs abseits der etablierten Marken verortet? Das ist natürlich nicht gerechtfertigt, denn hinter den beiden Buchstaben verbirgt sich große britische Sportwagengeschichte. Im Jahr 2007 gingen die Markenrechte allerdings an SAIC Motor über, den größten Automobilhersteller Chinas. 2024 feiert die Marke ihren hundertsten Geburtstag und beschenkt sich mit einem ganz neuen Modell: Einem vollelektrischen Roadster nämlich, der den Namen „Cyberster“ tragen wird (mehr dazu lesen Sie hier). Auf einen Konkurrenten trifft der stromernde Zweisitzer mit der Stoffkapuze nicht. Und das ist die nächste Chance, die MG ergreifen wird.
MG4 Electric Trophy Extended Range und XPower in Kürze:
Wann sie kommen: Sind bereits bestellbar
Wen sie ins Visier nehmen: VW ID.3, Cupra Born, Renault Mégane E-Tech Electric; VW ID.3 GTX, Tesla Model 3 Performance
Was sie antreibt: Elektromotor mit 180 kW/245 PS (Trophy), zwei Elektromotoren mit insgesamt 320 kW/435 PS (XPower)
Was sie kosten: Ab 45.990 Euro (Trophy) und 46.990 Euro (XPower)
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