Endgülitg Byebye, Boho-Dschungel: Darum schließt edi m. in Nürnberg
25.5.2023, 11:29 Uhr"Das ist die schlimmste Trennung meines Lebens", beschreibt Steffi ihre aktuelle Gefühlswelt. Lange hat sie versucht, ihren kleinen "Concept Store ohne Konzept" weiter zu betreiben, hat sich selbst aufgerieben und aufgefangen. Sich zusammengerissen, Kräfte gebündelt sowie mobilisiert - und ist doch verzweifelt. "Einen einzelnen Grund als Zünglein an der Waage kann ich gar nicht nennen, die Entscheidung war für mich so vielschichtig wie schwierig. Sie hat ganz schön lang in mir gegärt." Doch als auch das Jahr 2023 wieder mit "so viel Krankheit" begann, wusste Steffi: Es ist nicht mehr zu bewerkstelligen, den Laden weiterhin zu führen. Denn sie konnte ihn wegen eigener Krankheit oder auch der Krankheit in der Familie zuletzt nicht mehr öffnen - hatte aber die laufenden Kosten. "Ich hatte einfach zu große Angst, mich zu verschulden", gesteht sie und zog die Reißleine.
Was jetzt, nachdem sie die Entscheidung gefällt und kundgetan hat, in ihr vorherrscht: "Mir wird der Laden krass fehlen, es wird ein großes Loch bleiben", und doch, so klingt es durch, hat sie sich für das Leben, für die eigene Freiheit und die ihrer Familie entschieden. Sich loszulösen von diesem Herzstück eines Ladens mitten in Goho - und darin Kraft zu finden.
Schwierige Lage
"Ich wusste von Tag eins an: Der Standort ist schwierig. Das zeigte sich auch gleich im ersten Jahr", erinnert sich Steffi an die ersten Schritte als Selbstständige. Eine Sache sei ihr zum Verhängnis geworden: "Ich hatte in Mitarbeiter:innen investieren sollen anstatt in Kleidung." Es wäre sinnvoll gewesen, jemanden zu haben, "der es für mich auffängt, wenn ich nicht kann". Ihre Investition in Material statt Arbeitskraft räche sich nun, meint sie.
Denn nach Corona, im Krieg und in der Inflation kauften die Kund:innen nicht mehr so wie früher. Beispielsweise seien vor diesen Einschnitten noch Gutscheine von 30 Euro geholt worden - inzwischen läge der Wunschpreis bei 15 Euro. "Die Kund:innen sind verhaltener geworden, überlegen gut, was sie kaufen. Außerdem standen sie zu oft vor verschlossener Türe, weil ich nicht öffnen konnte." Viele schlaflose Nächte plagten Steffi. Nächte, in denen sie sich immer wieder den Kopf zerbrach, wie es weitergehen könnte. Und Nächte, in denen sie immer wieder feststellte, dass "ich dem Laden nicht mehr gerecht werden konnte".
Jetzt, nach getroffener Entscheidung, blieben ein weinendes und ein lachendes Auge zurück. Vor allem aber das Weinende. Und doch überwiegt der Mut in ihr, der im Gespräch deutlich herauszuhören ist. Zuversicht, viel Erleichterung. "Ich kann mich jetzt mehr meinem Kind und meinem Hund widmen, ich spüre den Druck nicht mehr so extrem", sagt Steffi. "Ich habe endlich keine Bringschuld mehr - ich muss keine neuen Artikel mehr suchen und finden, muss nicht mehr kreativ für Posts werden, präsent und gut gelaunt sein, wenn ich mich nicht danach fühle",
Lastenberge fallen zentnerschwer ab, wenn man Steffi erzählen hört. Sie freut sich auf einen freien Sommer, den sie so lange nicht hatte, auf einen Sommerurlaub, auf den sie ebenso lange verzichtete. Denn entgegen der allgemeinen Tendenz im (Einzel-) Handel war der August im edi m. immer stark. Letztlich ist es ein Gespräch mit Steffi über Aufbruch, Neuanfang und ganz viel Hoffnung auf kommende, bessere Zeiten. Die 36-Jährige freut sich darauf, viel "Zeit für meine Girls" zu finden, mit denen sie ihre knapp dreijährige Tochter und ihre Hündin Noki meint. Die Familie ziehe um, Steffis Freund werde fertig mit der Ausbildung, ihre Tochter komme in den Kindergarten - es stehen große Etappen im Hause Marthold an. Außerdem arbeitet Steffi nach wie vor täglich als Schulwegbegleiterin - was sie natürlich als Selbstständige und Mutter zusätzlich belastet. Dennoch: "So bin ich sozial- und krankenversichert und kann mir leisten, den Laden auch geschlossen zu halten." Ein Strohhalm in einer heftigen Zeit, der aber oftmals zusätzlich an ihren Nerven zehrte.
Concept Store ohne Konzept
Dieser Laden ist wie ein hippes Kleinod in Nürnberg. Versteckt mitten in Goho in der Bärenschanzstraße 39 gelegen, offenbart sich Dir mit Betreten von edi m. ein cooler Dschungel. Edi m. ist aber mehr als ein reiner Pflanzenladen. Denn zu dem wurde er erst richtig, als Corona die Berufsausübung von Einzelhändler:innen unmöglich machte.
Die Geschichte dieses Ladens und seiner zauberhaften Inhaberin ist eine besondere: Steffi Marthold beginnt ihre Karriere als Modedesignstudentin und dann als Store Managerin einer großen britischen Ladenkette, merkte aber schnell, dass das zu sehr auf die Psyche und den Körper geht - als "Knecht des großen Einzelhandels", wie sie sagt. "Ich wollte mehr. Mehr Entscheidungsfreiheit, mehr Kreativität, mehr Menschlichkeit und vor allem aber wollte ich meine Edi bei mir haben", erklärt Steffi, die sich im Alter von 30 selbstständig machte. Ja, Edi oder eigentlich Edna, eine Hündin, die auf den Straßen Moldawiens geboren wurde, ist nicht nur - leider bis vor Kurzem - die Wegbegleitung und Partnerin in crime von Steffi Marthold gewesen, sondern auch die Namensgeberin des Gostenhofer Ladens, den sie im April 2016 eröffneten. Inzwischen ist Hündin Noki, eine Loboherreno, an Steffis Seite und als inoffzielle Ladenchefin unterwegs.
In der ruhigen Straße drückst Du die charmante Holztüre mit dem für edi m. so stilistischen Tannenzapfen-Print auf - und das Grün wird Dir sofort ins Auge stechen. Der urige kleine Laden mit den großen Fenstern, dem Ofen und den Vintage-Möbeln scheint wie der optimale Platz für Boho und Vintage zu sein. Ein Ort, der vieles sein kann und will. Vermutlich hat Steffi ihn deswegen für ihr Laden-Vorhaben damals ausgesucht - für einen Concept Store ohne Konzept. Was das bedeuten soll? "Ich umgebe mich gern mit schönen Dingen und da lege ich mich ungern auf einen Stil fest. Geschenke finden oder sich selbst mal etwas gönnen, artet oft in Stress aus", erläutert Steffi. Und genau das will und wollte die junge Mama ihren Kund:innen ermöglichen - mit ausgewählter (lokaler) Mode jenseits der Stange, Designartikeln und -accessoires, Vintage-Musthaves, Zimmerpflanzen und Töpfen, selfmade Makramee-Arbeiten und überhaupt Dingen, die ein Habenwollen-Gefühl auslösen - Seifen, Pflegeserien, Nippes allgemein oder ein (schlüpfriges) Buch. Papeterie, Schmuck oder die edi-m-Emailletasse mit dem Tannenzapfen-Logo.
Ein Kaleidskop zwischen liebevoll upgecycleten Vintagemöbeln wie Hockern aus alten Zeitschriften. Am Holzofen oder im Sommer draußen auf der Rattanbank lässt sich aber auch entspannt der Kaffee aus der Rösterei Bergbrand oder eine Heulimo genießen, während Du in herumliegenden Büchern und Zeitschriften schmökern und Kunst an den Wänden betrachten kann. Denn Steffi ist es immer ein Anliegen gewesen, lokalen Künstler:innen und Designer:innen im Laden eine Plattform geben.
Großes Thema im Laden und für seine Inhaberin ist nach wie vor Makramee, diese Knüpfkunst mit Wolle. Steffi stellt nicht nur Blumentopfampeln und dergleichen selbst her, sondern bietet auch Workshops an (eher auf Nachfrage). Außerdem verkauft Steffi ihre selbstgemachten Haar- und Stirnbänder nicht nur in ihrem Kleinod in der Bärenschanzstraße, sondern beispielsweise auch via Etsy.
Wie es im edi m. weitergeht
Im Februar begann Steffi mit dem Abrüsten des Ladens, öffnete einzelne Tage, um ihre Kund:innen noch mit frischen Pflanzen und den Beständen im Laden zu versorgen. Jetzt, Ende Mai, möchte sie dann das Inventar loswerden und die Butze verlassen, sodass im Juni eine Übergabe an Nachmietende erfolgen kann. "Dann bin ich raus aus der Nummer", sagt sie durchaus pragmatisch. Auch in Zukunft will die kreative und stilsichere Steffi mit ihren selbst designten Haarbändern und mehr, sowie ihren besonderen Zimmerpflanzen auf Märkten oder als Pop-Up vertreten sein.
Letzter Öffnungstag von edi M. mit nochmal frischen Zimmerpflanzen ist am Samstag, 27. Mai, zwischen 11 & 16 Uhr. Für den finalen Tag hat sich Steffi Unterstützung von Marina von Möbel Wachsmann geholt, die erlesene Teppich an diesem Tag zum Verkauf stellt.
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