Von Maghreb bis Bollywood: Diese Orientmusik musst Du hören
18.2.2023, 15:37 UhrMarokko
Wir starten im äußersten Westen des Orients an der marokkanischen Atlantikküste. Von da kommt ein waschechter arabischer Musikstar. Die Rede ist von Saad Lamjarred, der nicht nur in arabischen Ländern, sondern auch (unter internationalen Musikkennenden) weltweit ein Begriff ist. Der 34-Jährige, der in der marokkanischen Hauptstadt Rabat geboren wurde, ist ein echtes Multitalent: Er singt, schreibt Songs, produziert Platten, spielt Klavier und Schlagzeug. Zu großer Berühmtheit verhalf ihn hauptsächlich sein Song "Lmallem" (zu deutsch: "Der Lehrer"). Damit meint Lamjarred nicht zwingend den oder die Schullehrer:in, sondern ganz allgemein eine besonders begabte oder anerkannte Person. Im Refrain singt er: "Du bist der Lehrer und von dir lernen wir. Wir sind leise, wenn du redest, wollen nicht sprechen."
Youtube-Aufrufe: circa 1 Milliarde
Algerien
Ebenso wie Marokko war auch Algerien lange französische Kolonie. Vor allem an Algerien sind 130 Jahre Fremdherrschaft (knapp 100 Jahre länger als Marokko) nicht spurlos vorübergegangen. Heutzutage wird in den Metropolen Algier, Constantine und Oran ein Mix aus Arabisch und Französisch gesprochen. Auch Cheb Khaled, der in Oran (im Westen des Landes) geboren wurde, nutzt beide Sprachen. Sein Song "C´est La Vie" (auf Deutsch: Das ist das Leben") wurde zu einem echten algerisch-französischen Dauerbrenner und darf in vielen Sommer-Playlists nicht fehlen. Trotz des fortgeschrittenen Alters von Cheb Khaled lieben viele junge Menschen die Songs des 52-Jährigen, weil er Lebensfreude pur ausstrahlt.
Youtube-Aufrufe: circa 400 Millionen
Tunesien
Einen deutlich ernsteren Ton schlagen die beiden tunesischen Sänger Balti und Hamouda in ihrem Hit "Ya Lili" an. Der Song weist unserer Interpretation nach auf ein gravierendes gesellschaftliches Problem hin. Das Musikvideo startet mit einem Jungen (Hamouda), der mit seinen streitenden Eltern am Esstisch sitzt. Er beklagt: "Ich bin so klein und trage so viele Sorgen in meinem Herz." In der zweiten Szene kommt der Vater des Jungen in sein Kinderzimmer und droht ihn mit Faustschlägen. Anschließend findet Hamouda in Balti eine Zufluchtsperson, mit der er Spaß hat und viel unternimmt. Gemeinsam singen sie die Line "Ich will fliegen, doch sie schneiden mir meine Flügel ab." Der Mittdreißiger kritisiert (in 1.45 Minute) mit "System welad el mtheylah", dass sie in einem Land leben, das von Menschen regiert wird, die nur an Macht und nicht am Volk interessiert sind. Vor dem Hintergrund, dass im Dezember 2010 der Arabische Frühling in Tunesien ausgelöst wurde, ist diese Textstelle besonders interessant.
Youtube-Aufrufe: circa 760 Millionen
Ägypten
"Ekhwati" oder auch "Meine Geschwister" ist ein ägyptischer Song, der seit Beginn der Corona-Pandemie nicht nur bei jungen Einheimischen, sondern bei allen restlichen der rund 350 Millionen Araber:innen zieht. Als es den ersten Lockdown-Sommer in Ägypten gab, hat das Duo "El Swareekh" (zu deutsch: Die Raketen) mit "Ekhwati" einen Song herausgebracht, indem es um "Geschwister" (als Synonym für Clique) geht. Ein deutscher Song, der am ehesten in dieselbe Kerbe schlägt ist "Nie ohne mein Team" von Bonez MC und Raf Camora. Nur geht es im ägyptischen Hit nicht etwa um Frauen und Alkohol, sondern darum, dass man trotz aller Umstände seiner Clique treu bleiben sollte. So betonen die beiden Künstler im Song, dass sie sich nicht mit Menschen mit schlechten Einfluss abgeben würden, auch wenn diese einen Ferrari hätten. Stattdessen würden sie lieber mit ihrer bescheidenen Clique ihr liegen gebliebenes Auto auf der Straße schieben. Damit treffen "Die Raketen" einen Nerv. Auf Grund von Armut, einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und Kontaktbeschränkungen fiel es vielen jungen Menschen in der arabischen Welt während der Corona-Lockdowns schwer die Beziehungen mit ihrer Clique zu pflegen. Auch nach dem Ende der meisten Corona-Beschränkungen blieb der Song beliebt, vermutlich weil er die ägyptische Lebensfreude vermittelt. Nach wie vor ist der Titel auf Hochzeiten in Kairo, Alexandria, Gizeh und Co. zu hören.
Youtube-Aufrufe: circa 400 Millionen
Syrien
Syrien und Ägypten waren früher, um genauer zu sein von 1958 bis 1961, ein Land. Reibungslos funktioniert hat die "Vereinigte Arabische Republik" bei Weitem nicht. Übrig geblieben sind aus der Zeit nur die zwei grünen Sterne auf der syrischen Flagge, die beide Länder symbolisieren und: die Begeisterung für Musik. In Syrien drückt sich das in übermäßigem Musikkonsum aus. Zu jeder Tageszeit hören viele Syrer:innen (altersübergreifend) die jeweils passende Musik. Morgens geht es meistens los mit Fairuz, zum Beispiel mit: Ana la Habibi (auf Deutsch: "Ich gehöre meinem Schatz"). Abends lassen einige Syrer:innen ihren Tag mit Sabah Fakhri, beispielsweise mit "Ya Tira Tiri!" (auf Deutsch: Oh, Vogel, flieg!) ausklingen. Doch der syrischen Jugend so richtig angetan haben es nicht Ikonen wie Fairuz oder Sabah Fakhri, sondern vorwiegend moderne Pop-Sänger wie Nassif Zeytoun. Der 34-Jährige aus der Nähe von Damaskus schaffte mit dem Song "Mesh am Tezbat Ma´ii!" (Deutsch: "Ich komme nicht damit klar!") den endgültigen Durchbruch. Und mit was kommt er nicht klar? Na, damit jemanden anderen zu lieben, als "die eine Frau". "Die eine Frau", nach dessen Liebe er süchtig ist und die ihn dazu gebracht haben soll sogar "die Vergessenheit zu vergessen". Etwas übertrieben, eben typisch syrisch.
Youtube-Aufrufe: circa 185 Millionen
Libanon
Ein flächenmäßig kleines Land an der Mittelmeerküste ist in Sachen Musik absolute Weltspitze. Eigentlich hätte der Libanon, der sieben Mal in Bayern hineinpassen würde, einen eigenen Artikel verdient. Nancy Ajram, Wael Kfoury, Haifa Wahbe, Maja Diab, Faris und Najwa Karam sind nur einige libanesische Musikstars, die in der gesamten arabischen Welt bekannt sind. Um nicht den Rahmen zu sprengen, nennen wir aber eine ganz andere Künstlerin: Elissa, eine Sängerin, die seit gut 30 Jahren die Herzen junger Menschen höher schlagen lässt, die auf niveauvolle Liebessongs stehen. Doch die 50-Jährige singt nicht immer alleine. Beim Song "Min Awel Dekika" (auf Deutsch: "Seit der ersten Minute") gibt sie ein Liebes-Duett mit dem marokkanischen Star Saad Lamjarred. Das Sympathische dabei: Lamjarred, den Du bereits aus dem Anfang des Textes kennst, versucht einen libanesischen Dialekt zu imitieren, in der Hoffnung, dass Elissa noch mehr Reichweite im Libanon bekommt.
Youtube-Aufrufe: circa 335 Millionen
Irak
Unser Vertreter aus den Golfstaaten, zu denen noch Saudi Arabien, der Oman, Bahrain, Kuwait, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören, ist vor allem für seine vitale Festtagsmusik bekannt. Viele junge Iraker:innen feiern ihre Hochzeiten gerne mit "Jinak Bihaya" (zu Deutsch: Wir haben für dich das gebracht). Gemeint sind: Flaggen, Banner, aber auch bedingungslose Treue. Der Song wird beispielsweise gespielt, wenn eine Clique ihren oder ihre Freund:in ehren möchte. Das Praktische an diesem Hit: Das Musikvideo zeigt, wie man sich zu diesen speziellen Anlässen traditionell anziehen und bewegen sollte. Die Performance von Nour Al-Zayn und Gharouan Al-Fahd kann sich sehen lassen. In diesem Sinne: "Ha! Ha!"
Youtube-Aufrufe: circa 445 Millionen
Türkei
Nördlich von Syrien, Libanon und dem Irak liegt der große Nachbar Türkei. Und die Türkei ist vor allem für eins berühmt: Türk Pop. Der mit Abstand berühmteste Song aus diesem Bereich ist sicherlich "Kiss Kiss" von Tarkan, ein in Rheinland-Pfalz geborener Deutsch-Türke, der im Heimatland seiner Eltern so richtig Karriere machte. Dass türkische Musik jedoch viel mehr als nur Pop zu bieten hat, beweist eine junge Künstlerin, die deutlich weniger bekannt als Tarkan ist: Günay Aksoy landete mit ihrem Song "Her Yer Karalinik" (Deutsch: "Überall ist es dunkel") einen Volltreffer. Im Lied, das sie vor ziemlich genau drei Jahren veröffentlicht hat, verarbeitet sie einen klassischen Winter-Liebeskummer, indem sie im Refrain singt: "Überall ist es dunkel, aber keine Angst, umarme mich. Liebling, das ist die letzte Zeile, die ich für dich geschrieben habe. Gib mir eine Umarmung und lass diese Sehnsucht vorbei sein."
Youtube-Aufrufe: circa 210 Millionen
Aserbaidschan
Im Nachbarland der Türkei Aserbaidschan wird eine Sprache gesprochen, die dem Türkischen ähnelt. Die Verwandtschaft zwischen Aserbaidschanisch und Türkisch ist vergleichbar mit der von Deutsch und Niederländisch. Ein Song, den die gut 10 Millionen Aserbaidschaner:innen fast so gut kennen, wie ihre eigene Nationalhymne ist Yaxsi Olar, zu Deutsch "Alles wird gut". In diesem tröstet Uzeyir Mehdizade seine ehemalige Freundin. Die Betonung liegt dabei auf "ehemalige", denn im Song beklagt der 32-Jährige, dass die Gesellschaft ihn und seine Geliebte auseinander gebracht hätte. Er hadert im Song mit der Frage "Wie konnte das nur passieren?" und vergleicht den Verlust mit dem Schmerz, den er haben würde, wenn man ihn die Augäpfel herausreißt.
Youtube-Aufrufe: circa 315 Millionen
Iran
Südlich von Aserbaidschan liegt der Iran. Das größte und zweitbevölkerungsreichste Land des Orients, bereichert die Welt unter anderem mit persischer Musik. Beispiel gefällig? "Behet Ghol Midam" (zu Deutsch: "Ich verspreche dir"). Und nun ein Quiz. Versuche den Refrain zu interpretieren: "Ich verspreche Dir, es ist nicht schwer, zumindest für dich. Entspann Dich, ich bin weit weg von Dir und Deiner Welt. Entspann Dich, niemand wird Deinen Platz einnehmen. Ich mache mir Sorgen um Dein Morgen. Ich verspreche Dir, es ist nicht schwer, zumindest für Dich." (unter der Einbettung steht unser Interpretationsansatz)
Youtube-Aufrufe: circa 170 Millionen
Wir vermuten, dass es um zwei Menschen geht, deren Wege sich trennen. Während der oder die eine im Iran bleibt, zieht es den oder die andere:n ins Ausland. Im weiteren Verlauf des Songs heißt es nämlich "Hab keine Angst, geh einfach ohne mich" und "Unser Weg war der gleiche, aber das Ziel war anders". Ein weiterer Beleg für diese Interpretation könnte sein, dass das Thema "Exil" in der iranischen Bevölkerung eine große Rolle spielt. Allein in Deutschland leben rund 240.000 Iraner:innen, viele davon politische Flüchtlinge und deren Nachkommen.
Pakistan
Nicht Persisch, sondern Paschtu wird im Süden Afghanistans und Norden Pakistans gesprochen. Aus letzterem Gebiet kommen Bollywood-Star Ali Zafar und Gul Panra. Der 42-Jährige und die 33-Jährige verzaubern mit ihrem Song "Larsha Pekhawar" (zu Deutsch: "Geh nach Peschawar") nicht nur viele Menschen aus dem östlichen Orient, sondern auch die Tourismusbranche der Stadt Peschawar. Jede Textzeile ist eine Hommage an die zwei Millionen Einwohner Stadt, die zwischen Islamabad und Kabul liegt. Der Ort, indem "frische Blumen" nur so aus Töpfen sprießen würden, wird sich sicherlich über zahlreiche Besucher:innen freuen.
Youtube-Aufrufe: circa 120 Millionen
Das kannst Du Dir als Musik-Fan nicht entgehen lassen
Drei Orient-Länder haben es in diese leckere Liste geschafft:
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