Klimarevolution auf dem Teller: Insectarian aus Fürth bietet essbare Insekten
18.1.2023, 13:32 UhrGranit und Konstantin kümmern sich als Geschäftsführer zu zweit um alles bei Insectarian. Beruflich kommen die zwei aus dem Bereich der Sozialversicherung. Sie lernen sich als Kollegen bei der AOK kennen. Neugierig bestellen sie 2019 auf der Arbeit versuchsweise Insekten im Internet. Diese getrockneten Heuschrecken sind die ersten essbaren Insekten, mit denen sie selbst in Berührung kommen sind.
Der Weg zum Lebensmittel-Shop
Das ist der Ausgangspunkt ihrer Idee. „Es gibt in diesem Bereich gute, hochwertige Shops. Doch es ist schwer, kleine Händler zu finden. Es gibt keine generelle Plattform“, stellen sie bei ihrer Recherche fest. Die 23-Jährigen haben beide bereits Gründungserfahrung. Seit Ende 2020 ist ihr Shop online, in dem sie essbare Insekten von ausgewählten Anbietern verkaufen. Bisher können die Nahrungsmittel bei Insectarian nur online erworben werden. Eine Verkaufsfläche bietet sich noch nicht an. Granit und Konstantin spezialisieren sich auf essbare Insekten und verbinden damit eine bestimmte Vision. Der Marken-Name – Insectarian – erinnert an die Bezeichnung „vegetarian“ und suggeriert in Anlehnung daran eine neue Ernährungs- und Lebensart. Die Produkte sollen jedoch nicht nur Vegetarierinnen und Vegetarier ansprechen. Es geht um den Gedanken, bewusst gute Produkte in die Ernährung einzubinden.
Ihr Wunsch ist es, Insekten als Lebensmittel zu etablieren. In einigen anderen Ländern wie den Niederlanden, Belgien oder Jamaika gehören Insekten längst zur regulären Ernährung. Neben dem Shop spielt bei Insectarian der Community-Gedanke eine große Rolle. Eigene Blogbeiträge der User:innen sollen zum Erfahrungsaustausch anregen. Granit und Konstantin moderieren den Austausch in den Beiträgen und inspirieren mit Rezept-Empfehlungen, denn: Das Auge isst mit. Und – zugegeben – so eine gegrillte Heuschrecke sieht auf den ersten Blick nicht unbedingt appetitlich aus. Mit diesem Fokus auf gemeinsame Erfahrung und Austausch möchten die beiden auch eine Art Aufklärungsarbeit leisten.
Nachhaltigkeit bei der Herstellung
Die nachhaltige Herstellung ist der ausschlaggebende Punkt, der essbare Insekten auf dem Ernährungsmarkt so relevant macht. Die jährlich steigende Fleisch-Produktion ist nicht zuletzt wegen ihrer hohen Öko-Bilanz zu hinterfragen. Der geringere Wasserverbrauch ist einer der Punkte, bei denen die kleinen Tiere besser abschneiden. Auch Tierwohl-Kriterien sind leichter einzuhalten. Die Insekten können ohne Schmerzbewusstsein in größeren Mengen gehalten werden und zeigen weniger Anfälligkeit für Krankheiten. Allgemein werden weniger Emissionen ausgestoßen, was beispielsweise der geringe Platzverbrauch erklärt. Neben nachhaltigen Produktionsbedingungen spielt auch Regionalität eine Rolle für nachhaltigen Handel. Lokale Händler versorgen Insectarian mit Waren aus Deutschland und Österreich. Aus dem Insectarian-Lager in Fürth heraus versenden Granit und Konstantin dann die Produkte an ihre Kundschaft.
Eigene Insekten züchten
Erste Versuche zur eigenen Insekten-Zucht wurden 2019 in Zusammenarbeit mit Prof. Martin Klingler von der FAU unternommen. Klingler vom Department Biologie beriet Granit und Konstantin beim Umgang mit der Zuchtbox und Tierwohl-Fragen. Die Testphase lief zwar erfolgreich an, allerdings bereitete ihnen die hohe, für die Zucht erforderliche Temperatur Schwierigkeiten. Der Knackpunkt ist ja, dass Emissionen eingespart werden sollen. In Zukunft soll zu ihrer Plattform mit Online-Shop noch eine Hausmarke aus eigener Produktion hinzukommen. Dafür stellen sie sich Problematiken wie Isolierung und Heizung - dabei lassen sie sich von Klimaexperten beraten. Indoor-Container, Klimazellen und Solar- oder Blockheizkraft sind Lösungsideen, mit denen sich die Gründer beschäftigen.
Wie schmecken Insekten?
Wonach schmecken Insekten? Das ist wohl die Frage aller Fragen. Konstantin ruft sich die Insekten-Verkostung in Erinnerung: „Es ist schon 'ne Überwindung, da rein zu beißen. Als würden Chips nach Nuss schmecken.“ Er umschreibt den Geschmack als nussige Note mit einem Aroma von Walnuss. Es gibt auch Insekten, die ein bisschen nach Popcorn schmecken. Diese erste Reaktion auf den Verzehr von Insekten beobachtet Konstantin häufiger: „Am Anfang ist es Neugier, positiv und negativ. Bei denen, die sich überwinden, folgt dann oft eine positive Überraschung.“ Konstantin verrät uns seinen Liebling-Tipp für Rezepte mit essbaren Insekten: kleine geröstete Insekten im Salat oder Insektenbrot. Für Neulinge im Insekten-Food empfiehlt er karamellisierte Mehlwürmer als Snack.
Insekten als Nahrung der Zukunft
Gemeinsam mit dem Nürnbäcker hat Insecatrian ein Insektenbrot entwickelt. Damit stießen sie auf positive Rückmeldungen und große Nachfrage. Immer mehr Leute kommen nun für eine Kooperation auf sie zu: „Wir hätten niemals damit gerechnet. Das hat uns überwältigt.“ Konstantin ist positiv gestimmt, dass Insektenmehl und andere Produkte in Zukunft vermehrt in unseren Alltag einziehen. „Das Handelsvolumen vergrößert sich in diesem Bereich“, erklärt er. Ob Insektenbrot beim Bäcker oder Snacks aus Würmern – die Ernährungsbranche scheint sich zu verändern. „In ein oder zwei Jahren wird das ein oder andere Produkt in den Supermarktregalen erhältlich sein“, so seine Prognose. Eine Veränderung unserer Ernährungsweise und der Ernährungsbranche wird nicht nur kommen, sie ist sogar nötig, sagt er: „Es muss sich auf jeden Fall was tun. Ob nur Insekten dazu beitragen, sei dahin gestellt.“ Dennoch: Insekten sind reich an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen, darunter Magnesium und Phosphor. Allerdings unterscheiden sich die Werte auch von Art zu Art. Außerdem enthalten Insekten die Vitamine B2 und B12 und alle essenziellen Aminosäuren. Auch der Anteil an Fett, Kohlehydraten und Proteinen ist von Art zu Art verschieden. Generell können Insekten locker mit Fleisch mithalten: Im frischen Zustand enthalten sowohl Fleisch als auch Grillen etwa 20 Prozent Protein. Getrocknet sind es bei der Grille zwischen 50 und 70 Prozent.
Bilanz zur Insekten- und zur fleischhaltigen Ernährung
Weltweit sollen sich Studien zufolge mindestens 2 Milliarden Menschen inzwischen von Insekten ernähren. Für uns Menschen in Deutschland, die an Fleisch gewöhnt sind, mutet das nach wie vor komisch an. Laut Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung verzehrt ein:e Bürger:in eines entwickelten Landes 8,6 Kilogramm davon durchschnittlich im Jahr, weltweit werden somit jährlich 320 Millionen Tonnen Fleisch konsumiert. Nach Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Haltung und Verarbeitung von Nutztieren zurück. Außerdem ist der Bedarf an Platz für die Fleischproduktion und Ressourcen von Fleisch zu hoch, um die zunehmende Weltbevölkerung künftig mit Nahrung zu versorgen. Alternative Proteinquellen müssen daher her und sich etablieren. Also: Für die Produktion von 100 Gramm eines verzehrfertigen insektenbasierten Produkts fallen dem Umweltbundesamt zufolge (2019) 0,15 Kilogramm CO2-Äquivalente an. Das sind dreimal weniger als bei derselben Menge Geflügelfleisch und 20 mal weniger als bei Rindfleisch.
Außerdem sind Insekten genügsamer: Sie brauchen weniger Platz und Futtermittel als andere Nutztiere. Weil Insekten wechselwarme Tiere sind, brauchen sie keine Energie zur Wärmeerzeugung und können Nährstoffe viel besser nutzen. Für die Produktion von 100 Gramm verzehrfähiger Insektenmasse werden 0,15 Quadratmeter Land benötigt, für die gleiche Masse Hühnerfleisch mehr als doppelt so viel.
Über 2100 Insektenarten sind für den Menschen essbar. In der Europäischen Union sind seit 2021 zwei als Nahrungsmittel zugelassen: der Mehlwurm und die Europäische Wanderheuschrecke. Da geht bestimmt demnächst noch einiges.
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