Ist Punk jetzt tot? Wie eine Kult-Band die Fans vor Rock am Ring irritiert

Andrea Munkert

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2.6.2023, 17:38 Uhr
Angekommen in der Konvention? Die Kassierer (hier Frontmann Wölfi) machen jetzt Werbung für einen Großkonzern. 

© Sebastian Gollnow, dpa Angekommen in der Konvention? Die Kassierer (hier Frontmann Wölfi) machen jetzt Werbung für einen Großkonzern. 

Hand aufs Herz: Ist Punk tot?

Das kann man schon Ausverkauf oder Seelenauslöse nennen, finde ich: Die Kassierer, Punker durch und durch, machen Werbung. Für ein staatliches Unternehmen: nämlich die DB Cargo, die absolut zur Deutschen Bahn gehört, die wiederum dem Bund gehört. Ok, soweit so gut, wer will denn zu einem so lukrativen Angebot auch schon "Nein!" sagen?! Wir müssen ja alle Geld verdienen. Mehr denn je, in dieser kunterbunten und üppigen Konsumwelt. Aber der folgende Fall hat für mich einen faden Beigeschmack.

Mit einer ganz besonderen Hymne läuten DB Cargo und die Agentur GUD.berlin pünktlich zu Rock im Park und Rock am Ring die Festivalsaison ein. On Stage: Mitarbeiter und die Punkrock-Veteranen von "Die Kassierer", die sich dieses Jahr zwar nicht im Nürnberger Line-Up niederschlagen, dafür aber am Ring rocken. Warum wirbt die DB Cargo jetzt mit einer solch großen Kampagne? Der Bahnlogisitiker beliefert in diesem Jahr einige Konzerte und Events, darunter auch das Hurricane-Festival, mit Gütern sowie Equipment. Um dem ganzen einen frischen und hippen Anstrich zu verpassen, sollten es Die Kassierer werden, die die Botschaft an die Kund:innen bringen.

Denn es gibt wohl keinen bekannteren Satz aus dem Mund von Wolfgang „Wölfi“ Wendland, dem Kassierer-Frontmann: „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“, tönt er seit rund 20 Jahren. Und die Fans der Punk-Band Die Kassierer singen fleißigst mit. Diese Zeile intoniert Wölfi als Vorsinger auch im neuen Werbespot und der Chor von DB Cargo stimmt klangvoll ein. Das Unternehmen ist nämlich mit dafür verantwortlich, dass für Rock am Ring und andere Festivals genügend Bier geliefert wird, so die Botschaft des Werbespots.

Die Fans und diejenigen, die Punk noch als letzte Bastion gegen den Mainstream betrachtet haben, zeigen sich im Netz ordentlich irritiert über soviel Sell-Out der Gegenkultur. Die Kassierer selbst rühren nämlich auch noch ordentlich die Werbetrommel vor ihrem Rock am Ring-Gig und verbreiten ihr Engagement für die DB Cargo in einer Grußbotschaft in den sozialen Netzwerken.

Pop saugt und saugt

„Und die nächste Punk-Legende, die sich dem System verkauft hat. Traurig“, schreibt ein User unter der Grußbotschaft auf Twitter. Ähnlich kommentiert jemand anderes auf Facebook: „Wenn jetzt sogar die Kassierer ’nen Werbedeal mit ’nem Großkonzern machen, scheint Punk doch tot zu sein.“ Ein weiterer User macht folgenden Grund für die Kooperation zwischen Die Kassierer und DB Cargo aus: „Sie sind alt und brauchen das Geld.“ Klar, es gibt vor allem viele Stimmen, die mitunter begeistert von diesem Werbefilmchen sind. Doch es zeigt eben auch auf, wie das Prinzip Pop funktioniert: Gegenkulturen, wie es Punk zumindest war, werden zwangsläufig irgendwann aufgesaugt und in den großen Mainstream-Kanon integriert. Denn Punk, wie viele andere Jugend-, Sub- oder Gegenkulturen, arbeiten mit Codizes, die einschlägig und kraftvoll sind, und so die Mitglieder der jeweiligen Kultur einen. Und sie sind so eingängig, dass die große Pop-Maschinerie sie gut verkaufen kann. Irgendwann beginnt der Ausverkauf, die Nutzung der Codizes und der Figuren bzw. Köpfe der Gegenkultur, die besonders hervorstechen, weil sie exzentrisch sind. Und schon bald kann man beobachten, wie die vermeintliche Gegenkultur ihre Seele verkauft. Für ein paar Kröten, für ein Werbevideo, für den großen Erfolg. Die Toten Hosen, die radiotaugliche Mitsingsongs für Fußballmassen und unter anderem mit Hymnen wie "Tage wie diese" auch Hits für Tante Ernas Geburtstagsgartenparty in den Äther streuen. So brav und vermeintlich gesellschaftsfähig Wölfi in dem Video daherkommt, wollen sich Die Kassierer wohl in die Punk-Rock-Mainstream-Riege einreihen. Ein User kommentiert unter dem Video, dass er Wölfi in Klamotten fast nicht erkannt hat. Denn der Sänger der Wattenscheider trägt, ganz konventionell, Kleidung und Sicherheitsweste. Auf der Bühne präsentiert er sonst gerne seinen hart antrainierten Bierbauch.

Wo bleibt die Antipode?

Punk is dead - das sang die Band Crass bereits 1978 - und das wirkt heute wie eine längst erfüllte Prophezeiung. Damals waren die Sex Pistols revolutionär, noch heute sagt man, dass die Pistols Punk getötet haben, bevor ihn der Mainstream packen konnte. Die deutschen Punk-Bands sind da nicht so zimperlich. Letztlich bleibt die Frage: Ist Punk noch Punk und wie viel Teilhabe am Mainstream darf so eine anti-kapitalistische Musikrichtung haben? Punk lebt vom Mythos des Nihilismus, des Anti-Seins, gegen die Masse und die Obrigkeiten, gegen dicke Firmen und die Gesellschaftsnorm. Viel ist in meinen Augen davon nicht übriggeblieben. Was erfolgreich für Massen ist, ist massentauglich - und nicht mehr revolutionär. Irgendwann trifft es jede Gegensparte. Der Punk versteckt sich inzwischen hinter Nadelstreifen. Vielleicht ist er erwachsen geworden. Vielleicht hat er im Alter seine Zähne verloren. Vielleicht musste er sich an den Mainstream wanzen, um zu überleben. Für mich fällt mit diesem Video eine weitere Bastion. Vielleicht darf man das auch nicht so kritisch sehen, denn: Spaß machen werden Die Kassierer weiterhin. Da, auf dem Festival und bei Konzerten. Auch mit dem Honorar des dicken Werbevertrags. Nur allzu ernst kann ich sie nicht mehr nehmen.


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