Ernährungsbewusstsein im Veganuary
Veganer Aktivismus: Nürnberger Familie veröffentlicht veganes syrisches Kochbuch
19.1.2022, 16:04 UhrMajed (26 Jahre) und Yazan (27 Jahre) Doudieh kommen aus Syrien leben seit 2002 mit ihren Eltern Nabila und Ibrahim in Nürnberg. Gemeinsam hat die Familie das vegane Kochbuch "Syrisch in vegan" herausgebracht. Neben Rezepten erzählt darin vor allem Mutter Nabila von ihrem Weg zum Veganismus. Der zweite Teil ihres Kochbuches mit über 45 neuen Gerichten ist im Sommer 2022 erhältlich. Darüber hinaus wird darin das Konzept eines Lebenshofes für Tiere vorgestellt und die ehrenamtliche Arbeit dort geschildert.
Wer von Euch beiden ist zuerst mit der veganen Ernährung in Berührung gekommen?
Majed Doudieh: Das bin wohl ich. Wenn ich mich an die ersten Berührungspunkte erinnere, dann denke ich an meine damalige Freundin, die eben auch zuerst vegetarisch und dann vegan gelebt hat. In meinem Umfeld gibt es aber viele weitere talentierte und kluge Menschen, von denen ich irgendwann erfahren habe, dass auch sie, den für mich damals sehr skurrilen veganen Lifestyle, verfolgten. Damit war meine Neugier geweckt.
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Was gab es bei Deiner damaligen Freundin zum essen, erinnerst du dich noch?
Majed: Das einzige vegane Ersatzprodukt bei ihr war ganz klassisch Tofu. Ich dachte damals immer, vegane Menschen essen nur Tofu, Brokkoli und Knoblauch – und ansonsten können sie nichts essen.
Trotzdem bist Du umgestiegen. War das ein schleichender Prozess oder hast Du Deine Ernährungsweise von heute auf morgen geändert?
Majed: Ich bin komplett auf die vegane Ernährung umgestiegen. Nachdem ich mich gründlich damit auseinandergesetzt habe, war mir klar, dass es im Sinne der Vermeidung von jeglichem Tierleid nicht anders geht. Für mich persönlich konnte es keine Zwischenschritte geben. Natürlich hatte ich am Anfang gehofft, dass es ausreicht, wenn ich mich vegetarisch ernähre. Ich war schließlich ein fanatischer Quark-, Joghurt- und Käseesser. Aber als ich herausfand, dass auch die sogenannten "Milchkühe" am Ende des Tages im gleichen Schlachthaus landen wie Fleischkühe, war für mich klar, dass ich auf eine pflanzenbasierte Ernährung umsteigen muss.
Wie konntest Du den Rest deiner Familie vom Veganismus überzeugen?
Yazan Doudieh: Es fing mit einer Doku an, die Majed mir gezeigt hat. Es war der Film "Cowspiracy", den gibt es noch immer beim Streamingdienst Netflix zu sehen. Darin werden die umwelttechnischen Aspekte des Veganismus beleuchtet. Wir empfanden das Gesehene wie eine Realitäts-Klatsche und das war der Anlass, uns darüber hinaus mit den Themen Tierethik und persönliche Gesundheit zu beschäftigen. Alles, was wir gefunden haben, haben wir direkt unseren Eltern gepitcht.
Und wie haben sie reagiert?
Yazan: Unsere Eltern sind sehr offen, wir nehmen an einander Leben teil. Sie gingen auf die Empfehlung ein, wir brachten uns auf den gleichen Informationsstand und waren uns einig, dass die Umstellung vernünftig sein wird. Zur damaligen Zeit kannten wir keinen Veganuary – es war außerdem Oktober. Wir wussten aber, dass es 21 Tage braucht, um eine schlechte Gewohnheit abzulegen. Also haben wir als Familie die 21-Day-Challege gestartet.
Wenn Du doch nicht selbst kochen willst - ausnahmsweise versteht sich:
Ich nehme an, Eure Mutter kocht bei euch zuhause besonders viel. Wie schwer ist die Umstellung ihr und Eurem Vater gefallen?
Yazan: Man muss berücksichtigen, dass die beiden viel länger mit tierischen Produkten gelebt haben als wir. Am Anfang war es für sie ein Schock, ihnen ist es bestimmt viel schwerer gefallen als uns. Deshalb haben wir uns umso mehr gefreut, dass sie mitmachen.
Bei Euch daheim wird vor allem syrisch gekocht, richtig?
Majed: Ja, unsere ganze Familie ist in Syrien geboren, wir sind bis zur zweiten Klasse dort zur Schule gegangen. Wenn ich an unsere Zeit dort zurückdenke, dann sind es vor allem essensbezogene Erinnerungen, die sehr präsent und emotional sind. Regelmäßig ist die 30-köpfige Kernfamilie zusammengekommen – es wurde gekocht, gegessen, gelacht. Diesen, für uns sehr wertvollen Teil unserer Kultur, haben wir ganz unbewusst mit nach Deutschland gebracht. Seitdem gibt es so gut wie jeden Tag traditionelles syrisches Essen.
Wie kann man sich die traditionelle syrische Küche vorstellen?
Yazan: Die syrische Küche ist sehr vielseitig. Sie basiert auf Milchprodukten wie Joghurt, Quark und super vielen verschiedenen Käsesorten, Fleisch und Fisch. Aber auch Samen, Kerne, Nüsse, Hülsenfrüchte, viel Gemüse und Obst. Was die syrische Küche besonders auszeichnet, ist die Frische der Zutaten. Wenn ich zurückdenke, ich kann mich nicht entsinnen, in meiner Kindheit in Syrien jemals abgepacktes Fleisch, Obst oder Gemüse gekauft zu haben.
Wie schwer war es, die tierischen Produkte durch pflanzliche zu ersetzen?
Majed: Zunächst konnten wir uns sehr glücklich schätzen, dass uns die syrische Kulinarik eine steile Vorlage für den Veganismus gegeben hat. Viele Gerichte wie zum Beispiel Humus, Falafel oder diverse Aufstriche wie Baba Ganoush sind per se vegan und zum Glück sehr lecker. Bei anderen Gerichten war es ein leichtes, die fleischige Komponente weg zu lassen.
Zum Beispiel?
Majed: Syrerinnen und Syrer lieben es, ihre Mahlzeiten mit tierischen Produkten zu dekorieren. Das heißt, sie packen einen Hähnchenschenkel oder Lammkopf auf ein fertiges Gericht, damit es schöner aussieht. Sobald man die entfernt, bleibt oft ein vollwertiges veganes Gericht. In anderen Fällen muss ich zugeben, mussten wir sehr lange tüfteln, wie wir die tierischen Produkte ersetzen können. Vor allem bei Süßspeisen war es schwer.
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Setzt Ihr bei Euren Gerichten auf Fleischersatzprodukte wie Tofu oder Seitan?
Yazan: Bei Fastfood und Fertiggerichten essen wir nicht mehr Ersatzprodukte als vorher. Dennoch muss ich Majed manchmal aus Burger King fischen, weil er sich dort durch die ganze vegane Palette der Produkte gefressen hat und bewusstlos auf dem Boden liegt (lacht). Bei unseren Gerichten ersetzen wir fast nie mit Tofu. Wir greifen eher zu Austernpilzen oder Pfifferlingen, die passen von der Textur meist besser. Aber nichts gegen Tofu, ich liebe es.
Was hat Euch dazu bewegt, am veganen Ernährungsstil bis heute festzuhalten?
Majed: Für uns beide gibt es nicht den einen Vorteil, sondern sehr viele. Ich stehe tatsächlich jeden Tag mit einem guten Gefühl auf und bin überzeugt davon, dass ich mit meiner Ernährungsweise den wohl geringsten Schaden an Umwelt, Mensch und Tier anrichte. Dazu kommt, dass ich nachweislich leistungsstärker Sport machen kann und gesünder bin.
Woher weißt du das?
Majed: Ich habe vor und nach der Ernährungsumstellung ein Blutbild machen lassen, um alle Vitamine zu checken. Und überraschenderweise waren nach zwei Jahren veganer Ernährung ausnahmslos alle Werte überdurchschnittlich gut. Das hat auch meinen Arzt überrascht, der mir immer empfohlen hat, jede Woche mindestens ein Schnitzel zu essen.
Gibt es kleine nicht-vegane Ausnahmen, die Ihr Euch ab und zu gönnt?
Yazan: Darauf kann ich guten Gewissens mit einem sicheren "nein" antworten. Wir haben nie daran gezweifelt, dass die vegane Ernährung das Richtige ist. Ich hatte auch nie das Gefühl: Mir geht es schlecht, ich brauche jetzt einen Döner. Seitdem wir durch die Dokumentation einen Blick hinter die Kulissen der Tierprodukt-Industrie werfen konnten, haben wir den veganen Lifestyle ziemlich schnell verinnerlicht.
Wie kam es zur Idee, nicht nur vegan zu kochen, sondern gleich ein veganes Kochbuch herauszubringen?
Yazan: Wir haben schon immer gerne mit unserer Mama Nabila gekocht. Sie ist eine leidenschaftliche Köchin, ich bin immer wieder fasziniert von ihrer Leidenschaft und ihrer Intuition. Irgendwann habe ich sie gefragt: Hey Mama, woher weißt du, wie du kochen musst? Sie zeigte auf ihren Kopf und deutete an, dass sie alles aus dem Gedächtnis macht. Daraufhin habe ich ihr ein Notizbuch in die Hand gedrückt und gesagt: Mama, jedes Mal, wenn du kochst, schreibe es bitte hier rein. Denn wenn du mal nicht mehr bist, dann will ich nicht auf dein Essen verzichten müssen. Und dann brach der Veganismus über unser Leben herein.
Und dann?
Majed: Mit der neu erlangten Überzeugung könnten wir nicht alles beim Alten belassen. Wir haben aus den Rezepten unsere Favoriten herausgesucht und über Monate experimentiert, neu gedacht, erweitert. Dann führte schnell eins zum anderen. Wir haben viele Freunde und Bekannte zum Essen eingeladen, dieses Mal zum veganen Essen. Wir haben positive Rückmeldungen bekommen und wussten sofort, das darf kein privates internes Familienprojekt bleiben, sondern muss, nicht zuletzt im Sinne des veganen Aktivismus, veröffentlicht werden.
Kocht ihr selbst oder macht das eure Mama?
Majed: Richtig habe ich mit dem Kochen angefangen, als wir die Rezepte für unser Kochbuch auf Herz und Nieren geprüft haben und sie unabhängig von unserer Mutter nachkochen mussten. Erst gestern habe ich neun Gerichte für das neue Kochbuch nachgekocht. Es macht mir mittlerweile echt Spaß und ich habe erkannt, so schwer ist das nicht.
Oft braucht man bei veganen Gerichten Produkte, die nicht im normalen Supermarkt zu finden sind. Zum Beispiel Jackfruit aus der Dose. Wie alltagstauglich ist die vegane Ernährung?
Yazan: Ja witzig, erst gestern habe ich im Drogeriemarkt die Jackfruit in der Dose im Angebot gesehen. Natürlich kann man die vegane Küche speziell formulieren, es geht aber auch super simpel mit Produkten, die du im Lebensmittelgeschäft deines Vertrauens bekommst. Die Jackfruit von gestern und die Erfahrung der letzten zwei Jahre haben mir gezeigt, wie schnell sich das Angebot an veganen Alternativen erweitert hat. Allein 2021 sollen über 500 neue Produkte in den Verkauf gekommen sein. Die Firmen reagieren eindeutig auf die Einkaufsgewohnheiten und der Veganuary trägt dazu bestimmt auch seinen Teil bei.
Versucht ihr Menschen in eurem Umfeld vom Veganismus zu überzeugen?
Yazan: Das ergibt sich tatsächlich aus unserer Situation. Wir arbeiten aktuell an "Syrisch in vegan Volume 2”, da müssen alle Rezepte idiotensicher gemacht werden. Wir schicken den Menschen in unserem Umfeld deshalb die Rezepte und bitten sie, ihren Senf dazu zu geben. Wir verbinden also den veganen Aktivismus mit etwas Praktischem, bisher haben wir nur positives Feedback bekommen. Die Menschen haben momentan außerdem Zeit und Lust, neue Rezepte auszuprobieren, weil viel zuhause gegessen wird.
Euer Kochbuch "Syrisch in vegan" hat den Untertitel "Die Veganisierung des Orients". Wie optimistisch seid Ihr, dass Ihr damit Erfolg habt?
Yazan: Ich persönlich denke, dass wäre ein sehr langer Prozess, gemessen an einem Menschenleben. Viele Menschen, speziell in Syrien, befinden sich materiell gar nicht in der Ausgangsposition, die vegane Ernährung in ihr Leben zu integrieren. Wir sind hier in einer privilegierten Situation, was die Zugänglichkeit der Produkte betrifft. Aber hey, Zivilisation ist ein Prozess, wenn auch ein langsamer.
Majed: Der Orient ist ein sehr großer Bereich, von Marokko über Pakistan bis in den Iran. Ich persönlich bin optimistisch, aber auch realistisch. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen ihre Zeit. Was man auch nicht vergessen darf: Im Orient ist die Ernährungsweise sehr eng mit der Religion verbunden, Stichwort Ramadan. In Syrien zum Beispiel geht man davon aus, nur wenn man Lämmer und Schafe auf offener Straße schlachtet, kann man als guter Mensch dem Paradies beitreten. Ich glaube, bis wir dort Religion und Ernährung getrennt betrachten können, dauert es noch einige Jahre.
Yazan: Da braucht auch der Islam ein bisschen Reformation.
Hinweis: Derzeit ist "Syrisch in vegan” ausverkauft, ab Mitte Februar gibt es Nachschub zu bestellen unter syrischinvegan.de
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