Ein mystisches Erlebnis, das verzaubert

Wenn in Spanien die Pyrenäen brennen: Sommersonnenwende im Nationalpark Aigüestortes

Claudia Freilinger

Nordbayerische Nachrichten Herzogenaurach/Höchstadt

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4.5.2024, 06:00 Uhr
Feuer und Wasser: Zur Zeit der Sommersonnenwende sind in den spanischen Pyrenäen beide Elemente besonders präsent.

© Claudia Freilinger Feuer und Wasser: Zur Zeit der Sommersonnenwende sind in den spanischen Pyrenäen beide Elemente besonders präsent.

Die Nacht riecht nach Rauch im spanischen Durro. Eine Kette von Feuerpunkten schlängelt sich den steilen Hang in den Pyrenäen hinab. "Sie kommen, sie kommen", ruft ein kleiner Junge und hüpft aufgeregt auf der Stelle. Seine Mutter zieht ihn gerade noch von der Straße weg in Richtung Hauswand. Dann geht alles ganz schnell.

Sobald sie den Ortseingang erreichen, sprinten die "Falleros" los. Mit schweren, brennenden Fackeln auf den Schultern rennen etwa 150 Männer und Frauen bergab zum Hauptplatz und zwei Runden durch das kleine Dorf. Aus allen Ecken schallen Anfeuerungsrufe, Böller knallen, Menschen schreien und lachen. Auch Glockenschläge aus dem Turm der romanischen Kirche untermalen die feurige Szenerie.

Es ist die Zeit der "Fallas del Pirineo" im Vall de Boí im Nordwesten Spaniens - ein uralter Brauch, mit dem der Beginn des Sommers gefeiert wird.

"Danach ist alles pur"

„Wow - so ein wilder Moment“, schwärmt Maria Farré, die schon bei den "Fallas" mitläuft, seit sie ein Kind war. "Ich kann wirklich spüren, wie alles gereinigt wird - wie wir die Geister austreiben. Danach ist alles pur." Aus Marias Sicht ist es Fluch und Segen gleichzeitig, dass die "Fallas del Pirinoes" inzwischen immaterielles Kulturerbe der UNESCO sind. Der Charakter der Feuerrituale, die im Juni und Juli in 33 Pyrenäen-Dörfern stattfinden, variiert von Ort zu Ort und hat durch die Auszeichnung eine Wiederbelebung erfahren.

Andererseits kommen jetzt natürlich mehr Touristen, um mitzuerleben, wie die Luft brennt und an den Feuern mitzutanzen, die nach den Fackelläufen entzündet werden. "Das hat etwas verändert", findet Maria.

Feuerzauber vor alten Mauern: Im kleinen Bergdorf Durro im Vall de Boí rennen die "Falleros" mit ihren Fackeln durch die Straßen.

Feuerzauber vor alten Mauern: Im kleinen Bergdorf Durro im Vall de Boí rennen die "Falleros" mit ihren Fackeln durch die Straßen. © Claudia Freilinger

Vom Massentourismus sind die kleinen Bergdörfer mit ihren dunklen Steinhäuschen allerdings noch weit entfernt. Und so springt der Feuerzauber in dieser magischen Zeit gut über.

Eigentlich aber ist Wasser das bestimmende Element in den spanischen Zentral-Pyrenäen. Aus dem Vall de Boí und dem Nachbartal Vall d'Aran - beide liegen im Norden Lleida - gibt es Zugänge in den Nationalpark Aigüestortes y Lago Sant-Maurici. Und hier sprudelt das Leben. Flüsse, Bäche und mehr als 200 Seen prägen das Landschaftsbild. Dazu kommt die märchenhafte Kulisse der zerklüfteten Gipfel von über 3.000 Meter hohen Bergen, die Bären und Kaiseradlern ebenso eine Heimat bieten wie dem Bartgeier, einem der Vögel mit der größten Flügel-Spannweite der Welt.

"Wildwasser" auf katalanisch

27 Wanderwege ziehen sich durch den Park, dessen Landschaft eine langsame Erosion während der Eiszeit geformt hat. 50 Bergseen liegen hier auf so engem Raum zusammen, dass selbst ein Land wie Finnland keine solche Dichte aufweisen kann. Das jedenfalls betont Bergführer Iban, der regelmäßig den Mäandern der Flüsse folgt im Aigüestortes, dessen katalanischer Name "Wildwasser" bedeutet. Die Hütten im Nationalpark sind zu Beginn der Saison meist schnell ausgebucht, erzählt er. Das Zelten oder Biwakieren ist im Kerngebiet verboten.

Unzählige Male ist Iban schon auf- und abgestiegen. Besonders in Erinnerung behält er die Touren mit Gästen aus Japan, denn die sind immer besonders scharf darauf, die Pyrenäen-Lilie zu sehen. Mit ihren gelben Blüten gehört die Pflanze zu den schönsten Lilien überhaupt. Für ihren Duft hingegen ist sie eher berüchtigt. "Der Geruch erinnert an Sperma", sagt Iban und erzählt von vielen kichernden Japanerinnen, die im Aigüestortes an Blumen riechen.

Die meisten Touristen aber kommen im Winter. Wenn es kalt und weiß wird, ändern die Dörfer im Tal ihr Gesicht. In Bagergue zum Beispiel, dem höchsten Dorf im Vall d'Aran, verzehnfachen die Ski-Touristen die Einwohnerzahl - viele Häuser stehen deshalb im Sommer leer.

Wenn der Frühling anbricht, wechselt auch Tonho Tarrau seine Rolle. Vom Skilehrer wird er zum Käsemacher. Er hat die Tradition seiner Großeltern wieder aufleben lassen, die 15 Jahre lang brach lag. "Im Keller lagern meine Kinder", sagt er und meint 3000 runde und 1500 viereckige Käselaibe, die er täglich mit Olivenöl, Essig und Cognac einreibt. Vier Sorten hat er im Angebot - alle haben aranesiche Namen.

Aranesisch? Im Vall d'Aran hat sich die okzitanische Sprache erhalten - in einem eigenen Dialekt. Rund 8000 Menschen leben im Tal, "etwa 3000 sprechen wie ich - aranesich", schätzt Tonho. Erhalten hat sich die Sprache aus der Zeit vor dem Tunnel. Bis 1948 war das Gebiet im Winter bis zu sieben Monate lang von der Außenwelt quasi abgeschnitten. Dann baute Spanien den Tunnel, der die Welt bedeutete.

Diese Schätze blieben lange unentdeckt

Ihn müssen alles passieren, die nicht über die Berge wandern ins Nachbartal, das Vall de Boí. Die kunsthistorischen Schätze dort wurden erst zu Beginn der 20. Jahrhunderts bekannt, als Kunsthändler die bunten romanischen Wandmalereien in den Kirchen des Tals entdeckten. Die meisten Originale sind heute nicht mehr vor Ort, sondern in Barcelona. Im Wesentlichen sind im Vall nur Kopien zu sehen oder, wie in der Kirche Sant Climent in Taüll, eine multimediale Projektion. Diese ist als Videomapping sehr kunstvoll gemacht.

Im Nationalpark Aigüestortes grüßt ein Schmetterling die Wanderer.

Im Nationalpark Aigüestortes grüßt ein Schmetterling die Wanderer. © Claudia Freilinger

Und die Innengestaltung ist tatsächlich nicht der einzige Reiz, der von den rustikalen Gotteshäusern ausgeht. Nicht umsonst hat die UNESCO neun von ihnen im Tal mit dem Titel Weltkulturerbe ausgezeichnet. Sie repräsentieren einen besonderen Baustil der Romanik, der von norditalienischen Meistern aus der Lombardei beeinflusst wurde.

Auch im Örtchen Boí steht einer dieser Kirchen: San Juan de Boí. Direkt nebenan befindet sich das "Casa del Park", ein Haus, das Wanderern den Zugang zum Nationalpark ermöglicht. Taxis fahren hinauf bis zum Parkplatz bei den Quellen von Aigüestortes. Eine leichte Wanderung führt von hier entlang der mäandernden Flüsse mit ihrem türkisgrünen Wasser hinauf zum Lago Maurici und vielen weiteren Seen. Tagsüber reicht es hier nicht nach Rauch wie in Durro, wenn die Fallas beginnen. Die Bergluft weht frisch. Und das Wasser regiert - nicht das Feuer, ein schöner Kontrast.

Die Kulissen im Nationalpark wirkt märchenhaft.

Die Kulissen im Nationalpark wirkt märchenhaft. © Claudia Freilinger

Mehr Informationen:

Turespaña , Consejería de Turismo en Frankfurt –

Tel.: 0049 (0)69 725 084, www.spain.info

Anreise:

Knapp drei Stunden mit dem Flugzeug nach Barcelona, dann vor dort mit dem Bus rund 300 Kilometer oder 3, 5 Stunden ins Vall de Boí. Auch ein Flug oder eine Zugfahrt nach Toulouse ist möglich.

Beste Reisezeit: Juni und Juli